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Antimilitarismus

Entgrenzte Kriege

"Der Frieden hier ist Teil des Kriegs woanders - und nicht seine Auflösung. Unser Normalzustand erfordert Krieg anderswo. Und unsere Normalität erfordert die Normalisierung von Militär und Kriegsführung, von Repression und Aufrüstung, und sie erfordert die Abstraktion davon, dass diese mit den eigenen Verhältnissen zu tun haben. Denn solche/unsere Verhältnisse erfordern eine Reihe von Ausblendungen, sonst lassen sie sich nicht aufrecht erhalten", so heißt es in einem Beitrag des antimilitaristischen Netzwerkes KiF (Krieg ist Frieden).

Und vielleicht ist hier schon ein wesentlicher Punkt angesprochen, warum Militarisierung, welche die Gesellschaft so grundlegend durchzieht, momentan selten explizit zum Thema linker Politik gemacht wird - sie ist auf so vielen Ebenen Teil des Alltags geworden, dass wir ihre Auswirkungen als "Normalität" im Rahmen der allgemeinen rassistischen, patriarchalen und kapitalistischen Verhältnisse wahrnehmen. Umso wichtiger ist es, Militarismus in seinen vielen Facetten und Kontexten sichtbar und angreifbar zu machen.

Krieg beginnt hier. Das heißt, dass hier im Alltag Geschlechternormen (re)produziert werden, die militarisierte Selbstentwürfe entlang der Pole "Männlichkeit" und "Weiblichkeit" bereitstellen. Die heteronormative Einteilung der Welt in "männlich" und "weiblich", die nach wie vor die gesellschaftlichen Verhältnisse hegemonial strukturiert, bereitet den Boden für die Legitimierung und Mobilisierbarkeit von Kriegen und wirkt darauf zurück, wie Krieg von uns wahrgenommen wird.


Krieg beginnt hier mit der Entsendung von Kriegsschiffen, um Flüchtlingsboote bereits im Mittelmeer abzufangen. Diese Einsätze zwingen den Flüchtlingen und Migrant_innen längere, gefährlichere Routen auf und führen damit jährlich zu tausenden Todesfällen in Mittelmeer und Atlantik. Auch die eigentliche EU- Außengrenze wird zunehmend militarisiert und technisiert, etwa durch den Einsatz von militärischen Drohnen und die explizite Einbeziehung der Kriegsministerien in den Grenzschutz. Mit diesem rassistischen Grenzregime betreiben die EU-Staaten den gewalttätigen Ausschluss derer, die nicht als billige und rechtlose Arbeitskräfte in Europa gebraucht werden. Die weitgehende Abschottung der Unerwünschten ist aber auch kapitalistisches Krisenmanagement; Wenn Menschen vor Kriegen oder den Folgen ökonomischer Zusammenbrüche fliehen, versuchen die Metropolenstaaten ihr Möglichstes, um Flüchtlinge weit vor Europa aufzuhalten. Nicht umsonst führt die NATO in ihren Strategiepapieren "unkontrollierte Migrationsbewegungen" als Kriegsgrund an.

Nach wie vor stellt der Kampf um Ressourcen einen wesentlichen Grund für weltweite Kriege dar. Ein Beispiel dafür ist der Militäreinsatz vor Somalia. Im Rahmen der "Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik" hat sich Deutschland dazu ermächtigt, in somalischen Hoheitsgewässern Kriegsschiffe auf die Jagd nach "Pirat_innen" zu schicken. Das heißt: Leute, die der "Piraterie" verdächtigt werden, werden festgenommen, ihrer Boote beraubt und gegebenenfalls auch mit scharfen Waffen beschossen. Geschützt werden damit einerseits die Fischfangflotten der Industriestaaten, die seit Jahren das Meer vor der afrikanischen Küste leer fischen und somalische Fischer_innen ihrer Existenzgrundlagen beraubt haben. Darüber hinaus wird eine der weltweit meist befahrenen Schifffahrtsrouten für Öl und andere begehrte Handelsgüter gesichert - gegen Leute aus einem der ärmsten Länder der Welt, die sich durch Kapern von Schiffen und Lösegeldforderungen zumindest einen Bruchteil der Reichtümer abzweigen, die vor ihrer Küste vorbeischippern.

Die Trennung zwischen Frieden "hier" und Krieg "dort" existiert praktisch nicht mehr. Im NATO-Papier "Urban Operations in the year 2020" skizziert eine hochkarätige Arbeitsgruppe aus sieben NATO-Staaten den Krieg der Zukunft als urbanen Krieg, in dem die Bebauung, Infrastruktur und Bevölkerungsdichte traditionelle Taktiken an ihre Grenzen stoßen lassen. Es geht nicht mehr in erster Linie um den Kampf gegen eine feindliche Armee, sondern um "asymmetrische Bedrohungen", Aufstände und Chaos in der Ära unübersichtlicher Megacities mit ausgeprägten sozialen Konflikten. Ziel ist die langfristige Kontrolle des Territoriums und der Bevölkerung durch den Einsatz "nicht-tödlicher Waffen", die Schaffung von Informationshegemonie, zivil-militärische Zusammenarbeit etc.


Dass solche Strategien in der heimatlichen Aufstandsbekämpfung ebenso anwendbar sind wie in eroberten Ländern, steht außer Frage. Sie sind wesentliche Säulen für die Aufrechterhaltung des neoliberalen Kapitalismus. Die massive Zuspitzung sozialer und ökonomischer Konflikte der letzten Jahrzehnte hat Widersprüche und Konflikte hervorgebracht, die strukturell unlösbar sind. Stattdessen wird die soziale Verunsicherung mit einer "inneren Sicherheit" getäuscht und die Unruhe mittels immer härterer Repression unterdrückt. Dazu gehört auch der Versuch, die Menschen in die präventive Logik des Sicherheitsstaats einzugliedern und sie als mitwirkenden Teil zu formieren. Die Militarisierung des Alltags durch öffentliche Gelöbnisse, Auftritte der Bundeswehr in Arbeitsamt und Schulen, durch Bundeswehruniformen im Straßenbild usw. prägt die Wahrnehmung von Kriegen und zielt auf deren Akzeptanz und auf Mitwirkung.


Auf dem diesjährigen BUKO wollen wir die bereits begonnenen Diskussionen um Antimilitarismus fortsetzen und die internationale Vernetzung voranbringen. Wenn wir es immer noch als unsere Aufgabe ansehen, die globale Kriegsmaschinerie in all ihren Facetten lahmzulegen, wird es notwendig sein, die alltäglichen Formen von Militarisierung und Krieg in den Fokus zu nehmen, um ihnen gemeinsam etwas entgegenzusetzen. Wir laden daher herzlich zum BUKO 35 ein, um neue Perspektiven zu entwickeln und unsere Handlungsspielräume zu erweitern - in der Hoffnung, damit dem diesjährigen BUKO Titel "deserta" einen Schritt näher zu kommen.