zuletzt aktualisiert am 08.05.2012

Der rechte Roll Back

Der Westen hat seine "Watchmen" gefunden. Die selbsternannten Wächter des Abendlands sind nicht, wie in Alan Moores Graphic Novel aus den späten 1980ern, eine Gruppe von altersmüden Superhelden, die sich der Selbstjustiz verschreiben, sondern präsentieren sich anno 2012 als charismatische Biedermänner und rhetorische Brandstifter. Sie heißen Sarrazin, Wilders oder Le Pen und stehen für einen allgemeinen rechten Roll-Back, der sich auch als Reaktion auf die Krisen manifestiert. In Europa und den USA konnten Rechte nicht nur maßgeblich in Diskursen die Kräfteverhältnisse zu ihren Gunsten verändern: Rechtspopulistische Parteien feierten u.a. Erfolge in Finnland, den Niederlanden und am deutlichsten in Ungarn, wo Viktor Orbáns Fidesz die Regierung stellt. Diese Entwicklung ist weit mehr als ein Gespenst der Feuilletons und Kommentarspalten: Sie ist ein Angriff auf die soziale Basis und die erkämpften Rechte von Migrant_innen, People of Colour (PoC), Sinti und Roma und weiteren marginalisierten und diskriminierten Gruppen.

Autoritäre Irrwege aus der Krise

Auch wenn sich die Bewegungen in ihren ideologischen Ausprägungen und politischen Strategien unterscheiden, haben sie doch wesentliche Punkte gemeinsam: Sie operieren mit bewährten Feindbildern und versprechen den Ausweg aus der Krise durch einen starken autoritären Nationalstaat. In Zentraleuropa haben Rechte seit Jahren den antimuslimischen Rassismus für sich entdeckt und schafften es so, verschiedene Schichten gegen die gemeinsame Bedrohung - die "Unterwanderung durch den Islam" - zu vereinen. Geert Wilders in den Niederlanden fungiert hier gleichzeitig als Ikone und Galionsfigur dieser Ideologie. In steter Bemühung sich vom "rechten Rand" abzugrenzen, stellen sich Vertreter_innen der "islamkritischen" Bewegung gerne als Verteidiger eines toleranten, modernen und säkularisierten Wertesystems dar und besetzen dabei auch gezielt Themen wie die Frage der Gleichberechtigung von Frauen oder die Rechte von Homosexuellen. So geschieht es nicht selten, dass sich Konservative als entschiedene Streiter_innen für die Rechte der Frauen präsentieren, wenn es darum geht, Europa gegen "den Islam" zu verteidigen.


"Traditionellere" Rassismen bestimmen dagegen das Bild in Ungarn: Die Feindschaft gegenüber Jüd_innen und Roma geht einher mit homophoben Hasstiraden. FIDESZ und die offen rechtsradikal auftretende Jobbik beweisen, dass auch der klassisch völkische Antisemitismus noch lange nicht von der Bildfläche verschwunden ist. Und auch wenn sich die Regierungskoalition hier große Mühe gibt, sich von den Schmuddelkindern der Jobbik zu distanzieren, so haben sie dem braunen Mob doch bspw. durch die kontinuierliche Stigmatisierung der ungarischen Roma das Feld bereitet. Ergänzt durch Orbáns Phantasien vom reinen "Magyarentum", einer herbeigesehnten ungarischen Volksgemeinschaft, hat dieses Vorgehen wirksam zur Aufrechterhaltung eines völkisch-nationalistischen Konsenses beigetragen.


Ein oft übersehener Punkt ist die Verknüpfung von rassistischen Ressentiments mit sozialchauvinistischen Vorstellungen: Sarrazins Thesen richteten sich nicht weniger gegen Erwerbslose und die ärmsten Schichten der Bevölkerung als gegen Migrant_innen. In den USA nahm die Tea-Party-Bewegung mit der Bedienung klassistischer und rassistischer Vorurteile Fahrt auf und gewann erheblichen Einfluss auch über die Straße hinaus.

Renaissance neuer und alte Feindbilder

Der Rechtsruck ist keinesfalls homogen, sondern vereint teilweise höchst widersprüchliche Strömungen: Wo sich die "English Defence League" auf krude Weise Israel-solidarisch gibt, tolerierte Orbán mehrfach antisemitische Reden aus den Reihen seiner Partei. Doch der aktuelle Roll-Back ist weit mehr als ein Diskursphänomen. Er hat direkte Auswirkungen auf den Alltag der diskriminierten Gruppen. Wo die Entwicklung hinführen kann, lässt sich am erschreckenden Beispiel von Ungarn sehen.

Neofaschistische Bürgerwehren terrorisieren unbehelligt Roma-Siedlungen, während die Regierung für rhetorische Rückendeckung sorgt. Die Reaktion auf internationale Kritik spricht Bände über die ungarischen Zustände: Orbán verabschiedete ein Gesetz, das ethnischen Gruppen Schutz bieten sollte. Davon haben die betroffenen Roma jedoch wenig: Vielmehr wird das Gesetz angewendet, um diejenigen zu kriminalisieren, die sich gegen Angriffe zur Wehr setzten. Begründung: Die angreifenden weißen "Magyaren" seien ja schließlich auch eine schützenswerte Gruppe. Was vom Standpunkt des externen Betrachters geradezu grotesk wirkt, ist ungarischer Alltag.


Wilders und anderen rechten Stimmungsmacher_innen gelang es derweil, in den Niederlanden ein Burka-Verbot durchzusetzen. Unablässiges Predigen über kulturelle Unterwanderung und Überfremdung zeigten erste administrative Erfolge. Muslimischen Frauen wird damit verboten, sich auf öffentlichen Plätzen zu verschleiern. Dass die langjährige Bearbeitung des Themas Früchte trägt, wird nicht nur an dieser Parlamentsentscheidung deutlich, sondern vor allem daran, dass ca. 80% der niederländischen Bevölkerung diese Entscheidung begrüßen - und das obwohl Schätzungen zufolge gerade einmal 300 muslimische Frauen im gesamten Staat überhaupt Burka tragen.

Dass sich in der Bundesrepublik bislang keine größere rechtspopulistische Partei oder Organisation gegründet hat, ist noch lange kein Grund zum erleichterten Aufatmen, sondern lediglich Beweis dafür, dass die etablierten Parteien dieses Meinungsspektrum weiterhin abdecken. Die Ignoranz der Behörden gegenüber der Mordserie des NSU, ergänzt durch die lange währende mediale Diffamierung der Ermordeten als Opfer von "Döner-Morden", sind deutliche Zeichen für die rassistischen Einschreibungen, die sich durch sämtliche Schichten der Gesellschaft ziehen. Analog dazu verlief die deutsche Integrationsdebatte: Erneut wurden bedrohliche Szenarien von Parallelgesellschaften, Integrationsverweiger_innen und allgemeinem gesellschaftlichen Rückschritt gezeichnet; erneut wurden Migrant_innen als grundsätzlich defizitär und fremd markiert. Bestimmt ist dieser Diskurs durch das Fortbestehen kolonialer Bilder und Denkstrukturen: "Das Andere" (in Gestalt von Migrant_innen und PoC) wird weiterhin als rückständig und der Erziehung nach so genannten "westlichen Werten" wie Toleranz und Meinungsfreiheit bedürftig betrachtet.

Nicht nur in Ungarn oder der tschechischen Republik, wo sich in der letzten Zeit erneut antiziganistische Übergriffe häuften, bedeutet diese Verschiebung der Kräfteverhältnisse eine physische Gefahr für die diskriminierten Minderheiten: Auch die Anschläge in Oslo und Utoya sind in die alltägliche Präsenz und Akzeptanz rassistischer Ressentiments eingebettet. Im Nachhinein wurde Breivik zwar gerne als geisteskranker Einzeltäter dargestellt; seine Einstellungen und seine Ideologie sind jedoch keineswegs vom Himmel gefallen.

In Zeiten, in denen vor allem die Perspektiven emanzipatorischer Bewegungen - im Kontext der Krise - im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen, ist es doch nötig, auch die Gefahr einer rechten "Transformation" zu reflektieren, eines erneuten Aufschwungs rassistischer und generell menschenverachtender Einstellungen und Praktiken. In Ländern wie den USA oder Ungarn sind es jedenfalls die Rechten, die mit klaren und einfachen Antworten auf die Krise gewinnbringend Kapital aus der Verunsicherung weiter Teile der Bevölkerung schlagen konnten. Von daher ist es dringend notwendig, über Perspektiven antirassistischer (Abwehr-)Kämpfe zu sprechen, über aktuelle rechte Trends ebenso wie über den rassistischen Normalzustand, über Konjunkturen und Kontinuitäten, über neue und alte Feindbilder.

Wir widmen uns dem Thema "Rechtspopulismus - Rechte Irrwege aus der Krise?" am Freitag in einer Podiumsdiskussion. Gäste sind u.a. Kien Nghi Ha, Georg Klauda und Bernard Schmid.