Sonderheft

Eine Zwischenbilanz der Globalisierungskritik

Noch im vergangenen Jahr, direkt nach den gewaltigen Demonstrationen von Genua, waren die Medien voll mit euphorischen Berichten über die GlobalisierungskritikerInnen. Selbst der Schock des 11. September bewirkte nicht, dass die Bewegung der Bewegungen im medialen Abseits verschwand. Im Gegenteil, die Anschläge wurden von vielen Kommentatoren als Beleg dafür genommen, dass die Globalisierung tatsächlich eine 'Gerechtigkeitslücke' aufweise. Dagegen begehre die Dritte Welt nun auf - wenn auch wie im Falle der Attentäter mit den falschen Methoden. Gerade deswegen aber gelte es, die Anliegen der Globalisierungskritik aufzugreifen und eine sozialere Weltpolitik in die Wege zu leiten.

Doch nun, wo es um die konkrete und konfliktive Ausgestaltung dieser Politik geht, ist die Aufbruchstimmung gedämpft. Ernüchterung und Normalisierung sind eingekehrt. Demonstrationen bei den Gipfeln der Weltinstitutionen werden nun als ganz normale Begleiterscheinung aufgefasst. Die vermeintlichen Leitfiguren der Bewegung haben zwar die Talkshows und Interviewseiten erobert, aber damit reihen sie sich nur in eine anwachsende Prominentenriege ein, ohne die eine Mediengesellschaft nicht auskommt. Auch innerhalb der Bewegung schreitet die Institutionalisierung und Professionalisierung voran. Nur als eines unter vielen Beispielen: Attac Deutschland zieht dieser Tage vom Alternativprojekt 'Ökozentrum Verden' in die Wirtschaftsmetropole Frankfurt a.M. um.

Das zeigt mehr als nur einen geographischen Ortswechsel an. Denn insbesondere der reformorientierte Flügel der Bewegung zeigt sich entschlossen, aus dem rasanten Aufstieg zu einem vielbeachteten Akteur Kapital zu schlagen und endlich Einfluss zu bekommen auf die global players. In mancherlei Hinsicht ist dies bereits gelungen. Weltbank, Internationaler Währungsfonds und selbst die Welthandelsorganisation haben Begrifflichkeiten und Konzepte der GlobalisierungskritikerInnen in ihre Programmatik übernommen - wenn auch höchst selektiv und ihres ursprünglichen herrschaftskritischen Gehaltes beraubt. Besonders deutlich zeigt sich das beim Modebegriff »Empowerment«: hier wird ein emanzipatorischer Ansatz von Weltbank und Co. in modernisierte Sozialtechnologie und marktgerechte Armutsbekämpfung übersetzt.

Dass manche Forderungen der Bewegung von herrschenden Ideologien und Institutionen so begierig aufgesogen werden, liegt auch an der teilweisen Verkürzung der Kritik selbst. Wer eine »neue Finanzarchitektur« fordert, braucht sich nicht wundern, wenn die entsprechenden Akteure darauf anspringen. Die Globalisierungskritik steht vor einer klaren Alternative: Bemühen um Politikfähigkeit und Anschlussfähigkeit an herrschende Diskurse und Institutionen versus Kritik, die darüber hinaus weist. Diese Unterscheidung reproduziert keinesfalls die üblichen lähmenden Reformismusdebatten, denn es gibt konkret umsetzbare Forderungen, die das Bestehende dennoch grundsätzlich hinterfragen (wie z.B. Legalisierungskampagnen für illegalisierte MigrantInnen). Klar ist jedenfalls: Die Bewegung benötigt einen langen Atem, will sie wirkliche Erfolge jenseits von kurzfristigem Medienhype erreichen. Globalisierungskritik ist ein langfristiges »Alltagsprojekt« - sie darf nicht auf einzelne Forderungen, Institutionen oder Staaten fixiert bleiben, sie muss auch die eigene Verstrickung in Herrschaft(sideologie) reflektieren.

Je deutlicher die Notwendigkeit wird, über plakative Parolen hinauszugehen, desto wichtiger ist es, inne zu halten im politischen Alltagsgeschäft und eine vorläufige Zwischenbilanz zu ziehen. Wo steht die Globalisierungskritik heute? Was hat sie erreicht? Wie reagieren die Institutionen und die Neoliberalen auf sie? Wo liegen Defizite? Zur Beschäftigung mit diesen Fragen will das Sonderheft des BUKO-Arbeitsschwerpunktes Weltwirtschaft und des iz3w einen kritisch-solidarischen Beitrag leisten. Anhand konkreter Länderbeispiele (Teil I), eines Überblicks über die Reaktionen der Institutionen auf die Globalisierungskritik (Teil II), eines Ausschnitts aus theoretischen und kapitalismuskritischen Debatten (Teil III) und anhand von Diskussionen über die Bewegung selbst (Teil IV) sollen einige Entwicklungen der Globalisierungskritik resümiert werden. Angesichts ihrer Vielfalt kann dies natürlich nur ohne Anspruch auf Vollständigkeit geschehen.

Ähnlich wie sein Gegenstand ist auch dieses Heft nicht ohne Vorläufer. Es ist ein Nachfolgeprojekt der BUKO-Broschüre »kölngehen - Erkundungen zu Globalisierung und Internationalismus« (1999) sowie der iz3w-Sonderhefte »Kuhhandel des Jahrtausends? - die millennium round der Welthandelsorganisation WTO« (1999) und »Gegenverkehr - soziale Bewegungen im globalen Kapitalismus« (2001). Schon diese Publikationen beruhten auf der engen Zusammenarbeit von iz3w-Redaktion und dem BUKO-Arbeitsschwerpunkt Weltwirtschaft. Das aktuelle Sonderheft wird nun auch gemeinsam herausgegeben.

Themenübersicht:

  • Globalisierungskritik in Argentinien, Südkorea und Russland
  • Die Anwort der Institutionen: IWF, WTO, Weltbank, EU, neoliberale Think Tanks usw.
  • Feministische Globalisierungskritik
  • Bewegungsperspektiven
  • Falsche Freunde von rechts
  • Globalisierung(skritik) nach dem 11.9.
  • u.v.m.

AutorInnen:

AAB Berlin, Martina Backes, Ulrich Brand, Ariane Brensell, Lena Bröckl, Gülay Caglar, Eva, Gelinsky, Stephan Günther, Friederike Habermann, Moe Hierlmeier, kanak attak, Stefanie Kron, Felix Kurz, Andreas Linder, Ernst Lohoff, Gisela Neunhöffer, Dieter Plehwe, Wolfgang Pomrehn, Thomas Seibert, Heiko Wegmann, Markus Wissen, Aram Ziai