Nicht in meinem Namen!

19.9.2019, Deutschland/Nicaragua

Der Nicaragua-Aktivist und Autor Matthias Schindler hat eine Erklärung veröffentlicht, in der er sich gegen die Vereinnahmung der (ehemaligen) Nicaragua-Solibewegung durch deutsche Diplomatische Kreise verwehrt. In dem Text zeigt sich ein ambivalentes Verhältnis zur der Solidarität mit Nicaragua, das unserer Wahrnehmung nach von vielen aus der Nicaragua-Solibewegung geteilt wird. Daher dokumentieren wir die Erklärung.

Nicht in meinem Namen!
Als jemand, der in den 1980er Jahren von Anbeginn an die Solidarität mit Nicaragua und die Bewegung zur Schaffung von Städtepartnerschaften aktiv mit aufgebaut hat, ist es für mich unerträglich, wie die deutsche Diplomatie das aktuelle Regime Ortega unterstützt und dabei auch noch unsere historische Solidaritätsarbeit für sich in Anspruch nimmt.
Die bisherige deutsche Botschafterin Ute König bot eine höchst peinliche – wegen ihres fürchterlichen "Spanisch" genauso wie wegen ihrer demonstrativen Äquidistanz zwischen den Opfern und den Tätern der orteguistischen Repressionsmaschine – Abschiedsrede (https://youtu.be/M3huXyjqTvg). Wenige Tage vorher hatte sie sogar die Verleihung des Ordens "José de Marcoleta en el Grado de Gran Cruz" durch das diktatorische Regime akzeptiert und sich dafür auch noch artig beim Präsidentenpaar Ortega-Murillo bedankt (https://www.el19digital.com/articulos/ver/titulo:93157-embajadora-de-alemania-en-nicaragua-recibe-la-orden-jose-de-marcoleta-en-el-grado-de-gran-cruz). Einen entsprechenden Abschied von der demokratischen Bewegung gab es nicht. Damit stellte sich die Botschafterin öffentlich und deutlich sichtbar auf die Seite der Diktatur.
Auf der Homepage der deutschen Botschaft verbreitet der neue Botschafter Christoph Bundscherer eine Message, in der er sich auf die Nicaragua-Solidarität und auf die Städtepartnerschaften beruft, die in den 1980er Jahren entstanden sind (https://managua.diplo.de/ni-de/botschaft/-/1204898).
Unsere Solidarität galt zu jener Zeit einem demokratischen Befreiungsprozess, der zwar mit Mängeln – die wir heute besser wahrnehmen als wir es damals getan haben – behaftet war, der aber auch eine Aufbruchstimmung der großen Mehrheit der Bevölkerung hervorgerufen hat. Unsere Solidarität hatte eine klare Orientierung: Unterstützung eines selbstbestimmten Weges des nicaraguanischen Volkes.
Das heutige Regime Ortega hat nichts mit den Zielen und der Realität der sandinistischen Revolution der 1980er Jahre zu tun. Ortega persönlich kontrolliert heute alle Institutionen des Staates und der Gesellschaft Nicaraguas. Er und sein engster Zirkel haben sich zu einer neuen mächtigen Kapitalgruppe formiert. Wer ihn nicht unterstützt, wird gnadenlos verfolgt, unterdrückt, gefoltert und ermordet. Seine Paramilitärs stehen Gewehr bei Fuß, um ihr Handwerk in seinen Diensten jederzeit wieder verstärkt aufzunehmen. Täglich erhalten wir neue Meldungen über den staatlichen Terror gegen die Bevölkerung Nicaraguas.
Die Städtepartnerschaften wurden in den 1980er Jahren – entgegen des Willens der damaligen CDU/CSU/FDP-Bundesregierung! – als politisches Signal gegen die Interventionspolitik der USA gegen Nicaragua aufgebaut. Um es nicht bei reinen Worten zu belassen und um auf
kommunaler Ebene überhaupt in dieser Richtung handeln zu können, wurden sie um eine materielle Komponente zum Aufbau des Landes bereichert.
Wenn zu jener Zeit Verhältnisse geherrscht hätten, wie sie heute in Nicaragua bestehen, dann hätte es weder eine starke Solidaritätsbewegung gegeben noch wären jemals Städtepartnerschaften aufgebaut worden!
Die Städtepartnerschaften hatten damals eine starke politische Komponente, und sie haben es heute immer noch. Sie werden von der Diktatur Ortega dazu missbraucht, um "Normalität" und "Business-as-usual" vorzugaukeln und um auf diesem Weg das Regime und dessen nach wie vor täglich stattfindenden Repressionsmaßnahmen zu legitimieren. So wie unsere Solidarität und die Städtepartnerschaften damals einen selbstbestimmten Weg des nicaraguanischen Volkes unterstützen sollte, so müssen unsere heutigen Solidaritätsaktivitäten dazu dienen, die Opfer vor der Repression zu schützen und die demokratische Basisbewegung zu unterstützen.
Auf diplomatischer Ebene wären klare und öffentliche Ansagen gegen die Unterdrückungspolitik Ortegas das angemessene Mittel der Wahl. Dies ist die einzige Sprache, die Ortega versteht. Die Bundesregierung geht diesen Weg offensichtlich nicht, angeblich, um ihre potenzielle Mittlerrolle in einem eventuellen späteren Dialog nicht zu gefährden. Ortega lacht sich derweil ins Fäustchen. Deutschland macht genau das, was er braucht, um sich an der Macht zu halten. In der Hoffnung, ihre weltpolitische Rolle möglicherweise zu stärken, lässt die Bundesregierung die demokratische Bewegung Nicaraguas am langen Arm verhungern.
Das ist im Moment kaum zu ändern.
ABER BITTE NICHT IN MEINEM NAMEN !!!
LASST BEI EUREN ABSURDEN DIPLOMATISCHEN MANÖVERN DIE SOLIDARITÄTSBEWEGUNG AUS DEM SPIEL !!!

Matthias Schindler (22.08.2019)

Hier der Link zur Erklärung als pdf

Mehr Informationen zu Mathias Schindler und seinem aktuellem Buch zur Lage in Nicaragua hier: https://diebuchmacherei.de/produkt/vom-triumpf-der-sandinisten-zum-demokratischen-aufstand/