Aufruf zur Konferenz: Leben ist kein Algorithmus!

Solidarische Perspektiven gegen den technologischen Zugriff, 30.9.-2.10. Köln.

„Wenn wir die gesamte Materie und Energie des Weltalls mit unserer Intelligenz gesättigt haben, wird das Universum erwachen, bewusst werden – und über fantastische Intelligenz verfügen. Das kommt, denke ich, Gott schon ziemlich nahe“. (Ray Kurzweil, Chefingenieur von Google)

Die Wellen informations-technologischer Entwicklungen schlagen in immer kürzeren Abständen über unsere Köpfe herein: sie wollen Daten, Daten und nochmals Daten. Google, facebook und deren Verwandte, die „Nachrichten“ Dienste aller Länder, saugen unsere Daten ab. Oft kommt dieser Zugriff erst mal unverdächtig daher: das Bargeld soll abgeschafft werden zugunsten elektronischer Transfers, die die Ökonomie von uns komplett transparent macht; Gadgets wie google glass, Fitnessarmbänder oder Smartphones – Sensoren der Erfassung und des Zugriffs rücken uns zunehmend auf die Pelle. Auch das Internet der Dinge – internet of things – gehört dazu, das aus harmlosen Haushaltsgeräten Spione und Denunzianten macht. In der Arbeitswelt werden zig Millionen zusätzlich arbeitslos sein – im unscheinbaren Kleid der „Industrie 4.0“. Diese Liste ließe sich noch um einiges erweitern: Gentechnik, Drohnen, Künstliche Intelligenz … Big Data ist der Euphemismus dafür, Big Theft wäre ehrlicher.

Überwachung ist ein klassisches Herrschaftsinstrument, jetzt ist es gelungen daraus auch noch ein erfolgreiches business-model zu machen, was die Anzahl der Akteure vervielfacht. Profitstreben wird zum neuen Motor der Überwachung und Datenerfassung. Sie dienen nicht nur der Kontrolle, sondern werden benutzt, um menschliches Verhalten vorherzusagen und gezielt zu manipulieren – eine Fremdbestimmung ganz neuer Qualität kündigt sich an.

Wir* laden deshalb zur Konferenz „Solidarische Perspektiven gegen den technologischen Zugriff“ ein – Köln, Alte Feuerwache, 30.9-2.10.2016.

Auf der Konferenz wollen wir nicht nur die erschreckend schnell voranschreitende Erfassung aller Lebensabläufe samt ihrer ökonomischen Verwertung und den weitgehend undiskutierten Lenkungsmethoden analysieren. Wir wollen unsere Möglichkeiten des Widerstands gegen den technologischen Zugriff auf unsere Autonomie in den Mittelpunkt stellen.

Im Silicon Valley, dem Zentrum des technologischen Zugriffs auf unser Leben nennt man die Strategie der unumkehrbaren Veränderung sämtlicher Lebensgewohnheiten „disruptive Innovationen“: „Wir erzeugen Produkte, ohne die man nicht mehr leben kann“. Welche Auswirkungen haben diese Innovationen für das Geschlechterverhältnis, welche für unser Denken und Sprechen? Das gesellschaftliche Bewusstsein für die Konsequenzen dieses tiefgreifenden Wandels inklusive der Verstärkung von Abhängigkeiten und Ungleichheiten hinkt so weit hinterher, dass deren technokratische Macher*innen leichtes Spiel haben. Sie brauchen unsere Kritik oder Gegner*innenschaft derzeit kaum zu fürchten. Das wollen wir ändern. Diese Konferenz soll dazu beitragen.

Die Pionier*innen des auf gleichberechtigter Teilhabe ausgerichteten Internets sagen angesichts der Praxis der totalen Erfassung und immer umfangreicherer Lenkungs- und Manipulationsmethoden durch die aktuellen HighTech-Konzerne: “Das Netz ist kaputt”. Wie gehen wir damit um? Weitermachen, das Netz “ein bisschen sicherer” machen? Oder sind wir in der Lage Alternativen zu erdenken, uns Techniken anzueignen, Techniken zu „hacken“ und sie gegen die beklemmende Totalität des Zugriffs auf unser Leben in Stellung zu bringen. Reicht das oder müssen wir nicht viel mehr die techno-imperiale Ideologie dieser Form der Vernetzung von allem mit allen angreifen, um uns ein Minimum an Autonomie zurück zu erkämpfen? Die Verweigerung, am digitalen Dauersenden teilzunehmen und unsere Selbstverteidigungsversuche gegen den digitalen Zugriff sind zwar absolut notwendig, aber definitiv nicht ausreichend, um uns langfristig der weitreichenden Fremdbestimmung zu entziehen. Wir wollen miteinander Möglichkeiten von Gegenwehr diskutieren.

Wie war es möglich, dass eine Massenbewegung in Indien Facebooks neokolonial bevormundendes Schmalspurinternet Free Basics Anfang diesen Jahres zu Fall bringen konnte? Wie wehren sich diejenigen, die die Hauptlast unseres Smartphone-Hungers in den (Coltan-) Minen zur Gewinnung der seltenen Erden tragen müssen? Gibt es überhaupt minimale Widerstandsnischen in den Produktionsstätten des weltgrößten Elektronikzulieferers Foxconn? Was waren die wirklich selbstermächtigenden Momente bei der Nutzung sozialer Medien in der Arabellion und welchen Anteil an der sich aufheizenden Dynamik hatte die physische Zusammenkunft in den Straßen nach der Abschaltung sämtlicher Kommunikationsnetze durch die wankende Regierung? Welche Chancen haben die Kämpfe gegen Vertreibung in den „Smart Cities“ der Welt?

Den kompletten Aufruf und alle weiteren Infos zur Konferenz findet ihr hier: https://bigdata.blackblogs.org/

Die Konferenz wird finanziell gefördert durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt, den Solidaritätsfonds der Hans-Böckler-Stiftung, den Asta der TU Berlin, das Ökumenisches Netzwerk Asyl, die Universität Köln, die Stiftung W Wuppertal, Cafe Libertad Hamburg, die Sebastian-Cobler-Stiftung (angefragt), die Aktion Selbstbesteuerung (angefragt), die Stiftung Umverteilen (angefragt), die Rosa-Luxemburg Stiftung NRW (angefragt).

Wir danken allen Förder_innen!