Kongress buko25
Tatort Globalisierung
Internationalismus nach Seattle, Genua und dem 11. September

Frankfurt/ Main 09. - 12. Mai 2002

 
  

 

  Text 1: Café Amargo - Urbane Gourmets und trikontinentale Armut
Text 2: Für ein neues internationales Kaffee-Abkommen
Text 3: El Rojito - Arbeitspapier zur politischen Verortung des alternativen Kaffeehandels (.pdf)
 
 

 

Was urbane Gourmets mit trikontinentaler Landarmut verbindet

Café Amargo

In der letzten Nummer berichteten wir über die Hungernot in zentralamerikanischen Kaffeezonen. Die jetzt beginnende Erntesaison wird diese Probleme noch verschärfen: viele ErntearbeiterInnen werden keine Stelle mehr finden. Wir führen zusammen mit dem Genfer Solidaritätskomitee Kampagne zur Unterstützung der Kämpfe gegen die Hungerpolitik in Nicaragua und El Salvador weiter und werden im nächsten Heft darüber berichten. Jetzt eine Analyse der strukturellen Probleme im Kaffeeanbau, am Beispiel von El Salvador

von Ulf Baumgärtner*

In den Supermärkten El Salvadors findet man seit einigen Jahren ein breites und immer größer werdendes Angebot von Kaffees, darunter auch biologisch angebaute und Gourmet-Sorten. Und auf den Internetseiten des Salvadorianischen Kaffeerates (CSC) kann man noch heute lesen: "Der Kaffee El Salvadors ist nicht nur das größte Vermögen der Nation und die größte ökologische Hoffnung unserer Kinder, sondern auch ein lebendiges Instrument der Demokratisierung in diesen Zeiten, in denen wir die ersehnte Zukunft planen." Die soziale Wirklichkeit ist auf ganz andere Weise pathetisch. Sie bewegt sich zwischen den Metaphern vom "café amargo" (bitterer Kaffee), gern gewähltem Kürzel für die Beschreibung der lang anhaltenden Kaffeekrise, die seit zwei Jahren auf eine soziale und ökologische Katastrophe zutreibt, und vom "grano de oro" (Goldkorn), Reminiszenz an das goldene Zeitalter des Kaffeebooms in El Salvador, als die längst verfallenen Villen in Santa Ana und das inzwischen renovierte Nationaltheater entstanden, und an das die sagenhaften Vermögen erinnern, die die wirtschaftliche und politische Macht der herrschenden Klasse begründet haben.

Wo wieviel von der Börse hängen bleibt

Mitte Oktober ist der Preis für "andere milde Arabica-Kaffees", zu denen jene Mittelamerikas zählen, an der New Yorker Warenterminbörse (NYBOT) auf ca. 45 US$/Quintal (45,36 kg ) gefallen, dem niedrigsten Stand seit 36 Jahren. Es handelt sich dabei um einen auf der Basis verschiedener Marktmechanismen ermittelten Durchschnittspreis. Die verschiedenen Kaffeeproduzenten bzw. ihre LandarbeiterInnen erzeugen aber keinen börsengängigen Rohkaffee, sondern Kaffeekirschen. Dieser Rohstoff wird kostenintensiv im Land selbst verarbeitet. Hinzu kommen die nationalen und internationalen Vermarktungskosten. Unterm Strich bleiben den unmittelbaren ProduzentInnen selten mehr als die Hälfte und nach jüngsten Wirtschaftsdaten aus El Salvador gerade mal ein Fünftel der auf dem Weltmarkt für Rohkaffee realisierten Erlöse.

Aus der mitteleuropäischen KaffeetrinkerInnen-Perspektive betrachtet: Laut der Internationalen Kaffeeorganisation ICO (Produktions- und Konsumländer zusammen) betrug Dezember 2000 der durchschnittliche Preis für ein Pfund Röstkaffee in der Bundesrepublik Deutschland 7,15 DM. Setzt man diesen Preis gleich Hundert, machte der NYBOT-Preis knapp 20% und der interne Preis in El Salvador kaum mehr als 7% aus. Es wird deutlich, daß der Löwenanteil der Wertschöpfung in den Metropolen, genauer gesagt in den Kassen der Kaffee- und Handelskonzerne realisiert wird. Mit hohen Zöllen für Röst- und Instantkaffee aus den Produzentenländern sorgen die Ober-Wirtschaftsliberalen dafür, daß das so bleibt. Ebenso erhellt, daß der Löwenanteil der Wertschöpfung bis zur Verarbeitungsstufe Rohkaffee in El Salvador - das gilt für alle Kaffee produzierenden Länder - von jenen kontrolliert wird, die die Verarbeitungsanlagen (Beneficios) besitzen und das Exportgeschäft beherrschen. Die sind im Verband ABECAFE zusammengeschlossen und sind im wesentlichen dieselben, die die Politik des traditionellen Pflanzer-Clubs, Asociación Cafetalera de El Salvador, bestimmen. Zusammen haben sie das Sagen im CSC, in dem auch die einschlägigen Ministerien vertreten sind. Der Verband der mittleren Kaffeeproduzenten UCAFES, der in Form von Verarbeitungs- und Vermarktungsgenossenschaften auch einige Beneficios hat, und die Vermarktungsorganisation der 1980 entstandenen Kaffee-Agrarreformkooperativen, von denen einige ebenfalls Beneficios haben, haben im CSC eine kleines Wörtchen mitzureden - von wegen Demokratisierung. Eine letzte Angabe: Während in El Salvador die Pflanzungen unter 2 ha 50% aller Betriebe ausmachen und 3,4 % der Ernten 1998/99 und 1999/2000 lieferten, produzierten die 3,3% aller Betriebe, die über 15 ha haben, im selben Zeitraum 46,2 % der Ernten.

Schlechte Karten für Don José

Bauer José, 52 Jahre alt, verheiratet, fünf Kinder, von denen drei bis vor kurzem noch zur Schule gingen, hat 45 Manzanas (1 Manzana = 0,7 ha) Kaffeeland, die durchschnittlich 750 Zentner Kaffee erbringen. Er gehört also zur kleinen sozialen Gruppe der Landwirte zwischen den LandarbeiterInnen/ Parzellenbauern und -bäuerinnen und den Kaffeebaronen. Punkto Erträgen gehört er, was die Produktivität betrifft, zur Spitzengruppe. In der Parzellenlandwirtschaft und in den kleinen Genossenschaften liegen die Erträge allenfalls halb so hoch, was nicht nur mit den schlechteren Böden und tieferen Lagen, die für sie übrig geblieben sind, zusammenhängt, sondern auch mit einer nationalen Kaffeepolitik, die diesen Sektor in der Krise nicht mal vergessen kann, weil sie ihn nämlich noch nie beachtet hat.

Don José bringt den Kaffee in den Beneficio eines ABECAFE-Mitgliedes. Nach Abzug der Verarbeitungskosten usw. wurden Ende Oktober verbands-einheitlich 80 Colones/Quintal angeboten (1$ = C8,75). Bei geschätzten Erntearbeitskosten von 125 Colones/Quintal und der Abgabe für den Kaffee-Notfonds (FEC) in Höhe von 43,75 Colones konnte Don José ohne Berücksichtigung sonstiger Kosten einen Verlust von knapp 90 Colones für jeden seiner erwarteten 750 Quintales vorausberechnen. Für ihn wird die Erntesaison also erneut negativ ausgehen, seine Schulden bei der Bank werden wachsen und es wird noch schwieriger werden, frisches Geld für die Ernte 2002/03 zu bekommen. Schon jetzt hat er 525'000 Colones Schulden. Der Wert seiner Finca, welche die Banken als Sicherheit wollen, ist nach deren Schätzungen inzwischen von 1,4 Millionen auf 750'000 Colones gesunken. Deshalb wollen die Banken für neues Arbeitskapital für die gerade angelaufene Ernte zusätzliche Sicherheiten. Da gibt es aber nur noch das Haus der Familie. Was Don José für den Verkauf von ein paar Zedern und einem Stück Land bekommen bzw. eingespart hat, indem er seine drei jüngeren Kinder von der Schule genommen hat, reicht nicht. Jetzt steht er vor dem Dilemma, sich weiter zu verschulden, mit dem Risiko, Finca und Haus zu verlieren, oder die Kaffeekirschen an den Bäumen hängen zu lassen. Dann werden "die Leute" ihn holen, befürchtet er, und später werden sie auf der Suche nach Brennholz auf die Finca kommen und vor den Kaffeebäumen nicht halt machen - und wieviel wird es dann kosten, die Pflanzung wieder herzurichten, falls die Preise anziehen?

Wenn schon ein Mittelbauer wie Don José am Rande der Existenz steht, um wieviel aussichtsloser ist dann die Lage der Parzellenbauern und -bäuerinnen und der LandarbeiterInnen, die auf Jobs in der Ernte setzen?

Nach den Zahlen des CSC ist die Anzahl der Arbeitsplätze in der Kaffeewirtschaft bereits in der Saison 2000/01 gegenüber 1999/00 von über 150.000 auf etwas mehr als 90.000 gesunken. Berechnet wird so etwas, indem man die zählbaren Arbeitstage einfach durch 250 Arbeitstage im Jahr dividiert. Dabei kommen natürlich keine festen Arbeitsplätze im mitteleuropäischen Sinne heraus. Vielmehr wurden ein Drittel bis die Hälfte davon durch Hochrechnung von Zweimonats-Erntejobs in der Ernte in Jahresarbeitsplätze verwandelt.

Von 1932 zu 1989

Die Kaffeekrise kommt von langer Hand und es ist nicht die erste Krise in der Kaffeerepublik El Salvador. Die Weltwirtschaftskrise im vergangenen Jahrhundert führte nicht nur zu ganz ähnlichen Existenznöten und Zusammenbrüchen wie den beschriebenen, sondern auch zum Aufstand von 1932, den die Kaffeebarone niederschlagen ließen. Nach 30.000 Morden in El Salvador und der Vernichtung der weltweiten Kaffee-Lagerbestände konnte der Weltmarktpreis wieder anziehen. Auch in den folgenden Jahrzehnten blieb die salvadorianische Wirtschaft auf Verderben und manchmal auch auf Gedeih (z.B. als die Super-Weltmarktpreise nach dem Zweiten Weltkrieg die Elektrifizierung des Landes möglich machten) vom Weltmarktpreis abhängig - von dem Campesinas und Campesinos freilich nie etwas gehabt haben.

1989 kam die Regulierung des Kaffeeweltmarktes in Gestalt des Internationalen Kaffeeabkommens (ICA) zu Fall - auf Betreiben der Konsumentenländer, die nicht bereit waren, die Lagerhaltung zum Ausgleich der stets schwankenden Weltmarktpreise mit zu finanzieren. Zwar gab es das strukturelle Überangebot, das in der kapitalistischen Wirtschaft dadurch entsteht, daß bäuerliche, d.h. schwache Produzenten (weltweit die Mehrheit der Erzeuger) in abhängigen, d.h. schwachen Ländern mit Mengensteigerungen auf sinkende Erzeugerpreise reagieren, schon vorher - auch schon bevor Papua Neuguinea und in jüngerer Zeit Vietnam auf der internationalen Kaffeebühne erschienen. Aber der Kollaps des ICA löste einen anhaltenden Preiszerfall aus. In der ICO-Statistik z.B. über die internen Preise in El Salvador in den letzten 10 Jahren ist er ebenso nachzulesen (z.B. 38,5 US$/Quintal ICO-Preis im Dezember 1991) wie die Erholung nach starken Frösten in Brasilien (114 US$/Quintal im Dezember 1994). Auch das ist Marktwirtschaft: der brasilianischen Kaffeeproduzenten Leid ist der salvadorianischen Freud. Vor allem aber der Warentermin-Spekulanten. An den entsprechenden Börsen wird auf dem Papier und im Computer schätzungsweise 200 mal so viel Kaffee gehandelt, wie physisch vorhanden. Ein für die Kaffeekonzerne negatives Ereignis gleich welcher Art (z.B. ein längerer Hafenarbeiterstreik in Kolumbien) ist jeweils der Anlaß für einen Run des volatilen Kapitals in das fiktive Kaffeegeschäft. So tragen die unschuldigen Kaffeebohnen und die schuftenden LandarbeiterInnen unter den Umständen deregulierter Finanzmärkte mehr denn je dazu bei, die spekulative Blase unter Druck zu halten.

Inzwischen haben sich die brasilianischen Kaffeeplantagen längst erholt, sind neue entstanden in frostfreien Zonen, schreitet die Mechanisierung voran, werden die brasilianischen Exporte durch den niedrigen Real-Kurs begünstigt (vgl. z.B. mit dem seit Jahren überbewerteten salvadorianischen Colon, der auch in dollarisierter Form überbewertet geblieben ist) und hält die Regierung der "emerging economy" Vietnam an ihrem Ziel fest, das Land zum nach Brasilien zweitgrößten Welt-Kaffeelieferanten zu machen. Im Übergang von der allgemeinen Rezession zur Weltwirtschaftskrise wird die Nachfrage in den Hauptkonsumregionen USA, EU und Japan weiter sinken oder stagnieren - wenn es den Konzernen gelingt, die Endverbraucherpreise gemessen an den metropolitanen Einkommen niedrig zu halten. Freie Fahrt also für freie KaffeeproduzentInnen in das schwarze Loch im freien Markt.

Geht es den Kaffeebaronen ans Eingemachte, hört der wirtschaftsliberale Spaß auf

Wie früher schlägt die Kaffeekrise durch bis zu den SaisonarbeiterInnen, die keine oder nur zu niedrigeren Löhnen und schlechteren Arbeitsbedingungen Beschäftigung finden. Den Betrieben mit bis zu 5 ha Kaffeeland, die 3/4 aller ProduzentInnen stellen, aber hierzulande nur auftauchen, wenn die Botschaft oder der Deutsche Kaffeeverband beweisen wollen, daß es in der salvadorianischen Kaffeewirtschaft keine Großgrundbesitzer gibt, geht es schlechter als Bauer José. Schon in den 80er Jahren stellten Untersuchungen fest, daß in diesen Betrieben nur acht von 12 jährlich anfallenden Pflegearbeiten gemacht werden und nur in 56% der Fälle die Pflanzungen regelmäßig verjüngt werden - gravierend in einem Land, dessen Kaffeeplantagen zu über 90% überaltert sind. Hinzu kommt, daß sie überwiegend "Bajío" (Central Standard) produzieren, die niedrigste Qualitätsstufe, weil in Höhen von 600 bis 900 m.ü.M. angebaut (der beste Kaffee wächst in 1.200m und mehr Höhe). Die minderen Qualitäten finden auf einem gesättigten Weltmarkt, auf dem die Konzerne auf Diversifizierung setzen, z.B. auf Gourmet-Kaffee, der erheblich höhere Margen bringt als "weiße Marken", keinen Absatz mehr.

Und wie sieht es mit der staatlichen Kaffeepolitik aus? Gibt es im Zeichen des Neoliberalismus nicht? Weit gefehlt. Die ARENA-Regierungen seit 1989, fest verankert in den Familienclans, die mit dem Kaffee reich geworden sind und dank ihrer vielfältigen wirtschaftlichen Aktivitäten auch bei niedrigen Weltmarktpreisen noch mithalten können, wollen aus dem Land nicht nur einen Finanzplatz, eine riesige Maquiladora-Zone und ein Paradies für Varadero-TouristInnen machen, sondern auch einen Standort für Qualitätskaffee - wobei die traditionelle Anbauweise unter Schattenbäumen neuerdings die Perspektive eröffnet, einen Biodiversitäts-Bonus zu ergattern oder im Handel mit "heißer Luft" (Emissions-Zertifikate) mitzumischen.

Zum Wohle der mächtigen Verarbeiter in ABECAFE hat die Cristiani-Regierung schon 1989/90 den Außenhandel reprivatisiert und angefangen, die Kaffee-Exportsteuer abzuschaffen, was alleine im Jahre 1990 ein Loch von 22 Millionen US$ in den Staatshaushalt riß. 1992 wurde angesichts der total abgesackten Weltmarktpreise der erste Fondo de Emergencia del Café (FEC) aufgelegt, in den alle ProduzentInnen, die auf dem Markt auftauchen, einzahlen müssen, aber aus dem nur jene, die nicht allzu hoch verschuldet und bei den Privatbanken noch kreditwürdig sind, etwas abbekommen. Der Fonds wurde ein Flopp, weil viele Kaffeebarone wie üblich die Stütze statt in ihre Fincas in sonstige Aktivitäten steckten oder dank der günstigen Konditionen der Kaffee-Notfondskredite zinsgewinnträchtig anlegten. Dennoch wurde er im Jahre 2000, als der Preis wieder dramatisch unter 90 US$/Quintal fiel, neu aufgelegt. Nach den Erdbeben in diesem Jahr zimmerten Staat und Privatbanken einen Treuhandfonds, der im Juli 2001 aus der Taufe gehoben wurde. Damit können die kreditwürdigen Kaffeebetriebe ihre Produktionsschulden von 300 Mio. US$ in überdies börsengängige Schuldverpflichtungen mit 20 Jahren Laufzeit und z.Zt. 6,4 % Zinsen verwandeln. Kurzum: um die Mächtigen im Kaffeegeschäft El Salvador braucht man sich keine Sorgen zu machen.

Marketing

Die Vereinigung Kaffee produzierender Länder (ACPC) hat bis vor kurzem versucht, mit der Rückhaltung von 20% des Kaffees den ICO-Preis auf 95 US$/Quintal zu bringen. Aber das gelegentlich mit der OPEC verglichene Anbieterkartell hat sich als zahnloser Tiger erwiesen, denn die Lücken wurden laufend mit Lagerbeständen und von Nicht-ACPC-Mitgliedern gefüllt. Im vergangenen Juli beschlossen Mexiko und die zentralamerikanischen Länder, es mit einem "Programm zur Eliminierung von 5% des Kaffees niedriger Qualität" zu versuchen. Indien und Indonesien haben bereits definitiv abgesagt, dabei mitzumachen, und Brasilien will vorläufig abwarten. Auch ist die Menge von ca. 1,2 Millionen Sack, die damit vom Markt verschwinden könnten (in El Salvador 75.000 Sack), minimal, gemessen an der Welternte von ca. 110 Millionen Sack in 2000/01. Und ob der "eliminierte" Kaffee für die Energiegewinnung genutzt werden wird, wie in der salvadorianischen Presse nach Bekanntgabe des neuen Programms verlautet wurde, ist mehr als fraglich. In der Weltwirtschaftskrise wurden damals Millionen von Säcken einfach verbrannt oder ins Meer geschüttet. Von dem Programm betroffen werden auf jeden Fall jene sein, die "Bajío" produzieren.

Im "Economist" vom 27.9.2001 schwärmte ein brasilianischer Kaffeeproduzent davon, daß die jährlichen Wachstumsraten beim Kaffeekonsum mit jenen von Soft-Drinks gleichziehen, was einer Verdoppelung auf derzeit ca. 3% gleichkäme. Da auf den Märkten der Industriemetropolen dafür eigentlich keine Chance besteht, hat die brasilianische Kaffeewirtschaft bereits Anfang der 90er den Binnenmarkt entdeckt und es geschafft, daß die dortigen KaffeetrinkerInnen mittlerweile 4,5 kg im Jahr verbrauchen - fünf Mal so viel wie in Mexiko. Auch in El Salvador wird versucht, den heimischen Verbrauch anzukurbeln. Aber wo auf dem Land vielfach noch ein Gebräu aus dem Ausschuß der Kaffee-Exportwirtschaft getrunken wird, ist der Verbrauch definitiv keine Frage der Konsumlust, sondern der zahlungskräftigen Nachfrage.

Gut im Rennen sind Vorschläge, mit besseren Qualitäten bessere Preise zu erzielen. Der kolumbianische Kaffeeverband setzt schon seit Jahren auf Markenpolitik und das Logo von Café de Colombia ist bald so bekannt wie das von Nike - nur daß weder SportlerInnen noch viele Jugendliche Kaffee trinken. Der Markennamen "Blue Mountain" für Spitzenkaffee aus Jamaika hat seit Jahrzehnten einen Klang, der "LiebhaberInnen" die Augen verdrehen läßt.

In den letzten Jahren ist die Marketing-Idee, lieber eine Marke als einen Rohstoff zu verkaufen, zusammengefallen mit den Bemühungen der Kaffeekonzerne, durch Diversifizierung des Produktes Marktsegmente mit höheren Gewinnmargen zu schaffen. Die Konkurrenz wird längst nicht mehr nur über den Preis ausgetragen. Dabei setzen die Konzerne offensichtlich auf Gourmet und aufgemöbelte Instantkaffees. Laut Angaben der National Coffee Association trinken in den USA schon 21 von 113 Millionen KonsumentInnen Gourmet- und Spezialitäten-Kaffees. Starbucks ist als Markenartikler so erfolgreich, daß er nicht nur nach Europa expandiert und dort Nachahmer findet, sondern sowohl ins Visier der Fairtrader als auch der No-Logo-Militanten geraten ist.

Bio und Protektionismus für Gehobene

Die Verwandlung des Rohstoffes Kaffeekirschen in eine Delikatesse für den gehobenen und genußfreudigen Mittelstand geht weiter. Kaffees aus bestimmten Anbauregionen (z.B. Café de Cerrado aus Brasilien oder Café Quindio aus Kolumbien) werden angeboten und warten darauf, ein Qualitätssiegel vom Typus "Appellation d'Origine Controlée" zu bekommen. Auch Kaffees bestimmter "Hanglagen" sind bereits aufgetaucht. In El Salvador können Kaffee liebende Investoren, Handelsreisende, NGO-VertreterInnen und TouristInnen jetzt einen Gourmet-Kaffee kaufen, der aus dem "ersten privaten Ökoreservat El Salvadors", der Finca La Giralda in der im Übrigen vom Erdbeben des 13.Januar schwer betroffenen Gemeinde Comasagua stammt, und mit Diversifizierungsattributen geradezu überfrachtet ist: OCIA-zertifizierter Biokaffee, "bird friendly", "forest grown" und im Mesoamerikansichen Biodiversitäts-Korridor liegend - für 8 US$ das 400g-Päckchen. Während das Marktsegment "fair gehandelter Kaffee" in Europa vorerst ausgereizt scheint, hat der Biokaffee Zukunft. Der mittelgroße deutsche Kaffeeröster Darboven bedient via Supermarkt bereits beide Kundenkreislein. Die ganz Großen - Jacobs und Tchibo, die längst Gourmet-Kaffees anbieten - bleiben trotz wiederholter Anbiederungen von TransFair Deutschland dabei, keinen "fairen" Kaffee in ihr Sortiment aufzunehmen. Biokaffee werden, so ist zu vermuten, die veritablen Multis auf den Markt bringen, wenn die Lieferung von entsprechendem Rohkaffee in ausreichenden Mengen und mit konstanter Qualität gesichert ist.

Lang gehegte Absichten in den Anbauländern, in Gestalt von Röst- und Instantkaffee Produkte zu exportieren, bei denen ein weiterer lukrativer Teil der Wertschöpfung im Herkunftsland verbleibt, scheitern an mit Rohkaffee verglichen viel höheren Zöllen in den Industrieländern.

Der "heiße Typ" aus Kreisen der Standort-Vorkämpfer, vom Kaffee weg zu diversifizieren, etwa in die Fleisch- und Frischobstproduktion, wo die Nachfrage in den Industrieländern noch wächst, mag der Weltbank gefallen und für Wirtschaftsriesen wie Brasilien auch diskutabel sein (dort werden im klassischen Kaffeestaat Minas Gerais inzwischen massenhaft Passionsfrüchte angebaut und Schweine gemästet). Diese Exporte lassen sich aber mit nicht-tarifären Barrieren, vor allem Hygienebestimmungen, von den Deregulierern in den Importländern regulieren und stellen angesichts der rapide sich füllenden oder schon verstopften Märkten für nicht-traditionelle Agrarexporte (z.B. Krabben, Blumen) weder für kleine Länder der Dritten Welt noch gar für LandarbeiterInnen und Parzellenbauern und -bäuerinnen eine wirkliche Alternative dar.

Soziale Kaffee- und Kampfkultur

Auf der gewiß schweren Suche nach Wegen aus der Kaffeekrise El Salvadors und aus der Existenzbedrohung für weitere Zehntausende, die noch nicht versucht haben, in die USA wegzumachen, mögen zwei Charakteristika der salvadorianischen Kaffeewirtschaft eine Richtschnur abgeben. Der Kaffeeanbau ist in allen Anbauländern noch eine soziale Kultur, d.h. er gibt vielen Menschen Arbeit und Brot - aber selbst aus einer nur-gewerkschaftlichen Perspektive viel zu wenig Brot. In El Salvador deckt der Mindestlohn in der Landwirtschaft allenfalls ein Drittel des "living wage", eines unter Lohnarbeitsbedingungen menschenwürdigen Lohnes. In der nationalen und internationalen Vermarktungskette für Kaffee und vor allem Präferenzmarkt-Kaffee gibt es mehr als genug Spielraum für einen ordentlichen weltweiten Flächentarifvertrag. Eine soziale Kaffeepolitik müßte diesen Spielraum nutzen.

Ganz besonders im zum Teil schon irreversibel umweltzerstörten El Salvador mit nur noch 1,5% des nationalen Territoriums unter Primärwald, sind die Kaffeeplantagen der ökologisch entscheidende Sekundärwald. Das stimmt, auch wenn der von den Kaffeebaronen und ihren Regierungen dominierte CSC dies mittlerweile auch erkannt hat und auf "Gewinne" aus dem Rio-Prozeß spekuliert. Eine ökologische Kaffeepolitik müßte dafür sorgen, daß dieser Wald unter allen Umständen erhalten bleibt.

* Mitglied der Kaffeekampagne, BRD

 
top
Text downloaden
 

 

Für ein neues Internationales Kaffeeabkommen

1. Einige illustrative Daten der gegenwärtigen weltweiten Kaffeekrise sind
eindeutig:

  • Kaffee wird in rund 80 tropischen Ländern produziert. In ca. 50 Ländern der Dritten Welt hängen wesentliche Teile der armen Bevölkerung vom Kaffeeanbau und -handel/-export ab; schätzungsweise 20 Millionen bäuerliche Haushalte und Landarbeiterfamilien. (Nach Angaben von ActionAid wird 70% allen Kaffees von "Kleinbauern" produziert.)
  • Die internationalen (Börsen-)Kaffeepreise haben im Jahre 2001 den niedrigsten Stand seit 30 Jahren erreicht. Alle unmittelbaren Produzentinnen, von denen die Mehrzahl keine Möglichkeiten hat, Kaffeekirschen zu exportfähigem Rohkaffee zu verarbeiten, bekommen für ihren "Rohstoff" weit weniger als den Export- bzw. internationalen Börsenpreis. Robusta-ProduzentInnen in Kamerun haben in der letzten Ernte ca. 10 US Cents/lb. für ihren Kaffee erhalten - weniger als 2% des Einzelhandelspreises für löslichen Kaffee in Großbritannien.
  • 1997 wurde weltweit Kaffee im Wert von 43 Milliarden USD verkauft, in die Herkunftsländer der Rohware in der Dritten Welt gelangte davon weniger als ein Drittel. Insofern die hochkonzentrierten transnationalen Konzerne im Kaffeegeschäft (Philip Morris, Nestlé, Tesco, Sara Lee, Starbucks) die Niedrigstpreise nicht an die EndverbraucherInnen weitergeben, machen sie Windfall-Profite. Nestlé, in dessen Jahresbericht 2000 nachzulesen ist "die Handelsprofite haben zugenommen ... und die Spannen haben sich dank günstiger Rohstoffpreise verbessert", hat im Februar 2001 ein Plus von 20% bei den Gesamtgewinnen berichtet. Starbucks hat im 1. Quartal 2001 ein Gewinnplus von 41% gemacht.
  • Die strukturelle Überproduktion bei Kaffee ist ein altes Phänomen, das sich aber in den letzten Jahren verschärft hat, weil zum einen der weltweite Verbrauch kaum mehr wächst, während die Produktion weiterhin überproportional gesteigert wird, indem neue, ertragsreichere Sorten angebaut werden und neue Produzentenländer wie z.B. Vietnam, auf dem internationalen Kaffeemarkt erschienen sind. In den letzten 10 Jahren ist das Angebot doppelt so schnell gestiegen wie der Verbrauch. Ein Ergebnis dieses wachsenden Ungleichgewichtes ist der Umstand, dass die Kaffeelager in den Verbraucherinnenländern auf über eine Million Tonnen geschätzt werden. Deshalb und wegen der oligopolistischen Struktur des Röstkaffeemarktes beherrschen die transnationalen Konzerne und die VerbraucherInnenländer (deren Vertreter zusammen mit Vertretern der ErzeugerInnenländer in der Internationalen Kaffeeorganisation ICO zusammenkommen) die Preisgestaltung.
  • Die Versuche der Vereinigung Kaffee produzierender Länder (ACPC), den Preis durch das Zurückhalten von Kaffee wieder höher zu bringen, sind gescheitert. Ob das jüngste Vorhaben einiger dieser Länder, große Mengen von Kaffee niedriger Qualität in den ErzeugerInnenländern zu vernichten, gelingt, bleibt abzuwarten. Oxfam UK schätzt, dass 250 Millionen USD erforderlich wären, um 15 Millionen Sack physisch zu vernichten und die ProduzentInnen dieser Menge zu entschädigen.
  • Unter den Vorschlägen, die Oxfam UK in einem Papier vom Mai 2001 noch ventiliert, hören sich die Ideen,
    - die Extraprofite von Nestlé usw. zu besteuern und mit den Einnahmen einen Teil der Kaffeevernichtung zu finanzieren,
    - die weitere Ausweitung des Kaffeeanbaus und die Orientierung von Forschung, Beratung und "Entwicklungshilfe" auf höhere Erträge einzustellen,
    - und einen internationalen Fonds unter UNCTAD-Verwaltung einzurichten, in den ProduzentInnen- und KonsumentInnenländer Mittel für die Vernichtung von eingelagertem Kaffee und das Zurückhalten bestimmter Kaffeemengen einzahlen,
    vielversprechend an.

2. Das Internationale Kaffeeabkommen, das 1989 suspendiert wurde, steht zur Zeit nicht auf der Tagesordnung von internationalen Kaffee-Diskussionen. Die VerbraucherInnenländer, die in der ICO den Ton angeben, sind mit den Niedrigstpreisen in einer viel zu komfortablen Lage, um so etwas Oberhaupt wieder ins Auge zu fassen und die ErzeugerInnenländer können - untereinander in heftiger Standortkonkurrenz - ihre Interessen in der ICO nicht gemeinsam durchsetzen.

Auch scheint es nicht ganz zu stimmen, was der Deutsche Kaffeeverband seit Jahr und Tag predigt, dass nämlich unter den Niedrigstpreisen die Qualität leide. Auch Qualitätskaffee scheint im Überfluss auf dem Markt zu sein und die Konzerne finden allemal beste Qualitäten, um in das lukrative Gourmetkaffee-Geschäft einzusteigen.

Selbst wenn man bei einem neuen Abkommen auf die alte Interventionsschwelle zurückgriffe, die sich im Übrigen an den durchschnittlichen Produktionskosten in den 80er Jahren und keineswegs an den Produktionskosten von Kleinbetrieben oder an LandarbeiterInnenlöhnen orientierte, die etwas für ein Auskommen hergeben, läge diese mit 120 US Cents/lb. mehr als doppelt so hoch wie der derzeitige Weltmarktpreis. Man muss sich also etwas mehr einfallen lassen.

3. Tatsächlich folgt die Orientierung an Welt-durchschnittlichen Produktionskosten dem Gleichgewichts-Paradigma der bürgerlichen Wirtschaftslehre. Der Gleichgewichtspreis, bei dem der Grenzertrag gleich 0 ist, besagt, dass es sich für alle, deren Kosten unter diesem Preis liegen, lohnt, Kaffee zu verkaufen und für alle anderen auf die Dauer nicht. Für diese Sichtweise ist die "livelihood", das menschenwürdige bis gute Auskommen der unmittelbaren ProduzentInnen, nämlich der einfachen WarenproduzentInnen im bäuerlichen Betrieb und der LandarbeiterInnen, völlig gleichgültig. Es ist die herrschende betriebswirtschaftliche Sichtweise, eine Perspektive, die einzig und allein an Verwertung und Mehrwertrealisierung interessiert ist.

4. Stellen wir uns jedoch auf den Standpunkt der einfachen WarenproduzentInnen und der LandarbeiterInnen im Kaffeeanbau, die einen Erzeugerpreis bzw. einen Lohn wollen, der es ihnen erlaubt, statistisch ausgedruckt, den jeweiligen einfachen und erweiterten Warenkorb zu decken, also ein menschenwürdiges Einkommen zu erzielen, kommen wir zu anderen Kriterien. Dann muss der Erzeugerpreis, zumal ein Erzeugerpreis, der auch ein "living wage" abdeckt, erheblich höher sein als der Gleichgewichtspreis bzw. die Welt-durchschnittlichen Produktionskosten - einen Durchschnitt, in den eben auch immer mehr der aufgeputschten Hochertrags-Standorte eingehen. Entsprechend müsste die lnterventionsschwelle eines neuen Internationalen Kaffeeabkommens deutlich höher liegen als beim alten.

5. Und was hat das mit den Mengen, mit der strukturellen Überproduktion zu tun? Damit bekommt es etwas zu tun, wenn man aufhört, den Weltkaffeepreis als einen an den beiden großen Kaffeebörsen gemachten zu denken. Dort wird er nämlich weder oder nur bedingt in Abhängigkeit von den realen Produktionskosten gemacht und schon gleich gar nicht in Abhängigkeit von den Einkommensbedürfnissen der unmittelbaren ProduzentInnen, sondern von den WarenterminspekulantInnen, die z.B. auf Fröste in Brasilien, der Weit größtem KaffeeerzeugerInnenland damit reagieren, dass sie anfangen, volatiles Kapital auf diesen potentiell renditeträchtigen Finanzmarkt zu schieben.

Denkt man sich hingegen den Kaffeepreis als eine vom Einkommen bäuerlicher ProduzentInnen und im Kaffee beschäftigter LohnarbeiterInnen abhängige Variable, dann kann man einem solchen Preis die durchschnittliche Betriebsgröße, Produktivität und mithin die durchschnittlichen Erträge von kleinen und mittleren bäuerlichen Betrieben zuordnen.

Der nächste Schritt können dann differenzierte Preis-/Mengen-Überlegungen sein. Zum Beispiel: bis zu einer bestimmten Ertragsmenge, nämlich jener, die dieser Betriebskategorie im Durchschnitt entspricht, gibt es einen Preis, der die gewünschten Einkommen schafft - und wer mehr produziert, sei es dass er mehr Fläche oder eine höhere Produktivität hat, bekommt für jeden Sack Kaffee, der über der so definierten Ertragsmenge liegt, sukzessive weniger, also einen degressiven Preis.

Als weitere Variable könnte man dann noch den Welt-Bedarf an Kaffee mit berücksichtigen und käme so auf ein Preissystem, das erstens die Überproduktion in High-Tech-Plantagen drosselt und zweitens für ein ordentliches Einkommen der Masse der in der Kaffeeproduktion tätigen Menschen sorgt.

13. Dezember 2001

von Ulf Baumgärtner

 
top
Text downloaden
 

 

 

 
Programm
Arbeitsgruppen
Hintergrund
Castellano
   
Mitveranstalter
Sponsoren
BUKO25-Zeitung
BUKO-Mitglieder
Home
BUKO