Kongress buko25
Tatort Globalisierung
Internationalismus nach Seattle, Genua und dem 11. September

Frankfurt/ Main 09. - 12. Mai 2002

 
  

 

Zur Debatte um das ATTAC-Netzwerk
und die Möglichkeiten von Bewegung und Organisierung von unten

 

Texte:
Dabei sein ist alles
Chancen nutzen
 
Linksradikale und Attac   
   

 

Dabei sein ist alles -
ATTAC: Politisch nahe der Fernsehkameras
aus: ak 459, vom 22.02.2002
ak - analyse & kritik
Zeitung für linke Debatte und Praxis
http://www.akweb.de

Anfang Februar versammelten sich 60.000 Menschen aus über 150 Ländern zum zweiten "Weltsozialforum" im brasilianischen Porto Alegre, dem Mekka jener Bewegung, die unter dem Sammelbegriff "Globalisierungskritik" im vergangenen Jahr für Furore gesorgt hat. "Eine andere Welt ist möglich" lautete das Motto des Happenings. Die Frage war allerdings, wie diese Welt aussehen soll. Dass es darüber keineswegs Übereinstimmung gibt, zeigte sich überdeutlich. In Porto Alegre wurden nämlich nicht nur Netzwerke geknüpft und in Hunderten Workshops diskutiert, getanzt und gelacht. Es flogen auch die ersten Torten in den eignen Reihen. Ziel war die eigens für das Forum eingerichtete VIP-Lounge, in der sich die gleicheren unter den nach eigenem Selbstverständnis prinzipiell gleichen GlobalisierungskritikerInnen versammelten.

Die Kritik der BasisaktivistInnen galt aber nicht nur den Starallüren einzelner RepräsentantInnen der Bewegung. Moniert wurde auch, dass die FinanzmarktkritikerInnen von ATTAC dem WSF ihren Stempel aufdrücken wollten, obwohl dieses schließlich die "sozialen Bewegungen der ganzen Welt" vertreten sollte. Trotz der immer wieder beschworenen Pluralität und Heterogenität der globalisierungskritischen Bewegung sind die Linien zwischen ATTAC und seinen KritikerInnen bereits klar gezogen und die Gräben tief ausgehoben. Dafür ist das WSF nur ein weiteres Beispiel.

Doch was sind neben den Problemen von drohender Institutionalisierung und Integration, die beim WSF deutlich geworden sind, die grundlegenden Fragen in dieser Debatte? Das wird bei den Dikussionsbeiträgen nicht immer klar, denn oft scheinen Kritik und Erwiderung schon so reibungslos zu funktionieren wie eingeübte Spielzüge beim Fußballtraining. Für Ambivalenzen bleibt kein Raum. Und genauso oft muten die Stellungnahmen an wie Spiegelfechterei. Es wird auf selbstgestellte Fragen geantwortet, die gar nicht der tatsächlichen Kritik des jeweiligen Widerparts entsprechen.

Pappkameraden und Spiegelfechtereien

Dafür ist der Text von ATTAC-Mitgründer Werner Rätz in ak 456 in gewisser Weise ein ärgerliches Beispiel. Unter der Überschrift "'Pfui, Reformismus!'?? Warum ATTAC für die radikale Linke notwendig ist" versucht er mit linker Kritik an ATTAC abzurechnen und die Notwendigkeit der Beteiligung radikaler Linker in ATTAC zu begründen. Die Erfolgsgeschichte der Gruppe, so Rätz, wecke "Begehrlichkeiten und Ängste aller Art", deshalb solle man sich erst genauer anschauen, was ATTAC wirklich sei. Nämlich eine kleine, heterogene Gruppe mit einigen konkreten Forderungen, wie der sogenannten Tobin-Steuer zur Besteuerung der Finanzmärkte. Insgesamt sei das Netzwerk "selbstverständlich keine revolutionäre Bewegung", sondern ein dynamischer Prozess. Dann folgt seine Kritik an der Kritik. Statt sich auf die politische Dynamik einzulassen, die mit Göteborg und Genua ATTAC auch in Deutschland Auftrieb gebe, stellten sich die radikalen Linken einfach daneben und riefen "Pfui Reformismus!" So könnten die KritikerInnen "zwar recht haben", das bliebe aber wirkungslos.

1:0 für Rätz könnte man denken, schließlich ist das Sektierertum der radikalen Linken tatsächlich oft ein Ärgernis. Das Problem ist hier aber ein anderes. Denn Rätz baut in seinem Artikel lediglich einen Pappkameraden auf, den er danach publikumswirksam abschießt. Betrachten wir die Debatte um ATTAC genauer, sehen wir, dass der von Rätz entlarvte Vorwurf, ATTAC betreibe "nur Reformismus" in einer derart platten Form lediglich in den für ihre Kuriositäten berüchtigten free postings auf indymedia anzutreffen ist.

In der tatsächlichen Diskussion geht es um anderes. Da wird einerseits die strategische Ausrichtung von ATTAC mit den damit verbundenen Forderungen und Ansatzpunkten kritisiert und andererseits das diesen zu Grunde liegende Verständnis von Ökonomie, Kapitalismus und Herrschaft. Dies allerdings sind für die Linke grundlegende Fragen, die nicht so einfach mit dem Verweis vom Tisch gewischt werden können, wenn die Dynamik einer Bewegung in Gang sei, werde sich das schon alles radikalisieren lassen. Denn vielleicht sind ja die Grundlagen falsch. (1)

Schauen wir uns einen Ausschnitt der Kontroverse einmal konkreter an. Bei den im vergangenen Jahr geführten Auseinandersetzungen zwischen ATTAC und einer KritikerInnenschar aus den Reihen des Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO) sowie einiger anderen Gruppen war ein zentraler Punkt, ob nicht die stark akzentuierte Konzentration der ATTAC-Kritik auf die Rolle der Finanzmärkte im neoliberalen Globalisierungsprozess eine offene Flanke zu antisemitischen Stereotypen aufweise. Die Figur des "jüdischen Spekulanten" und des "vagabundierenden jüdischen raffenden Kapitals" ist schließlich ein stehendes antisemitisches Bild, das das Alltagsbewusstsein in einem nicht gerade zu vernachlässigenden Teil der Bevölkerung prägt. Konsens war bereits nach der ersten Runde "interner" Diskussion, dass es diese Gefahr gibt und dass es notwendig sei, diese bewusst zu reflektieren.

Doch scheint die ATTAC-Kritik an den Finanzmärkten zu populär zu sein, als dass man sie nicht populistisch nutzen möchte. Schließlich geht es um Bewegung. Jedenfalls stempelt ATTACSprecher Thomas Fritz die Kritik als unsolidarisch ab und stilisiert sich als Opfer unberechtigter Kritik (junge Welt 19.10.01). Der Bremer ATTAC- Professor Jörg Huffschmid benutzt dagegen weiter Begriffe wie "vagabundierende Kapitalüberschüsse", wie in seinem Text "Gegen die Diktatur der Märkte" nachzulesen ist. Und Werner Rätz geht gleich gar nicht darauf ein, obwohl er den Anspruch formuliert, die Kritik zu kritisieren.

ATTAC - APO der Sozialdemokratie

Bei der Kontroverse geht es nicht um den Vorwurf des Antisemitismus an ATTAC, wie auch Markus Wissen nochmals betont (vgl. ak 457). Es soll auch nicht darum gehen, die linke Bewegung auf Ideologiekritik einzudampfen. Denn Ideologiekritik ist schließlich nur dann gesellschaftlich relevant, wenn sie "Leben" (Gramsci) wird. Es kann nicht um eine "richtige" Kritik gehen, die einseitigaufklärerisch an die Massen herantragen werden soll. Alles in allem ist der Streit keiner, der mit den Kategorien "Reform" versus "Revolution" ausgetragen wird. Es geht hier vielmehr um die Frage, wie bestimmte politische Forderungen in einem diskursiven Umfeld wirken. Befördern sie eine emanzipatorische Gesellschaftskritik oder sind sie an hegemoniale Beschreibungen anschlussfähig und bewirken so eher das Gegenteil. Und gerade das ist bei einer Kritik an der neoliberalen Globalisierung der Fall, die lediglich die Phänomene der Finanzsphäre in den Mittelpunkt stellt, ohne die Frage nach deren Ursachen im Prozess kapitalistischer Verwertung zu suchen. Gegen das "ungezügelte Finanzkapital" wettern schließlich auch prinzipielle BefürworterInnen des Kapitalismus, wenn sie populistische Reden halten.

Thomas Fritz betont, eine analytisch ausgereifte Kapitalismuskritik sei nicht Aufgabe der Bewegung und Peter Wahl meint "vage Gefühle", "spontane Kritik" und "emotionale Empörung" seien einem "elaborierten Krisen und Kapitalismusbegriff" vorzuziehen. Dennoch lassen die ATTAC-Funktionäre dann doch keine Gelegenheit aus, ihren ökonomischen Sachverstand unter Beweis zu stellen. Fritz (iz3w 258) versucht glauben zu machen, dass die Positionen von ATTAC und ihren KritikerInnen gar nicht so weit voneinander entfernt seien. Spannungen gebe es nur bei der Interpretation der Empirie, in der Frage nach der Entkopplung von realer und monetärer Akkumulation und der theoretischen Einschätzung des Finanzmarkts.

Aber ist das nicht genug? Denn letztlich handelt es sich dabei um grundlegende Fragen auch jenseits einer Kontroverse über "reformerische" oder "revolutionäre" Mittel, was auch immer das heute heißen mag. Sind Phänomene wie Finanzkrisen und deren ohne Zweifel verheerenden Auswirkungen Folgen oder die Ursache des Problems? Und: Reduziert sich die Kritik auf die Verteilung des Reichtums oder zielt sie bereits auf die Frage, wie produziert wird. Bei beiden Fragen landen wir beim Kern der Debatte. Geht es um eine grundsätzliche Kapitalismuskritik oder lediglich darum, eine sozialverträgliche Regulierung des Kapitalismus zu fordern.

Während Thomas Fritz sich dagegen verwehrt, dass aus dem Fokus auf die Finanzmärkte notwendig eine Beschränkung auf einen Verteilungsdiskurs folge, hört sich das bei Peter Wahl in einem Streitgespräch mit Olaf Henkel (Ex-BDI) schon ganz anders an. "Solange sie keine geeigneten Verteilungsmechanismen haben, nützt ihnen das ganze schöne Wachstum nichts", erklärt er. Was geht bei Aussagen dieser Natur noch über die Kapitalismuskritik eines Oskar Lafontaine hinaus? Nichts. Folgerichtig ist der ehemalige Finanzminister auch schon ein ATTAC-Maskottchen, das öffentlichkeitswirksam präsentiert wird.

Nun mag Werner Rätz einwenden, er habe ja auch nicht behauptet ATTAC sei revolutionär. Ihm ginge es lediglich darum, dass die radikale Linke nicht schon wieder die Gelegenheit verpasse, politikfähig zu werden. Die Frage ist nur, ob die radikale Linke in diesem Umfeld in der Lage dazu ist, oder ob sie sich nicht zum Fußvolk für die Profilierungsgelüste abgehalfteter Politfunktionäre macht, die mit dem Aufschwung der globalisierungskritischen Bewegung einen zweiten Frühling wittern. Warum sollen antikapitalistische Positionen sich in einer Zeit, in der sich die Kritik am Kapitalismus zum ersten Mal seit Jahren wieder öffentlichkeitswirksam vertreten lässt, hinter einer außerparlamentarischen Sozialdemokratie verstecken?

Hier stellt sich die Frage, warum gerade ATTAC zum Sprachrohr der GlobalisierungskritikerInnen wurde. Zwei Faktoren scheinen relevant zu sein. Erstens bilden die internationalen Protestbewegungen seit dem Gipfelsturm von Seattle im Herbst 1999 nun auch in Deutschland den Resonanzboden für eine hörbare diffuse linke Kritik an der neoliberalen Globalisierung. Während aber weite Teile der radikalen Linken in Deutschland nach langen Jahren der fortwährenden Frustration BewegungsabstinzlerInnen geworden sind, konnte ATTAC mit einer professionell aufgezogenen Pressearbeit das Informationsloch füllen, das die Proteste bei den hiesigen Medien hinterließen. Das Netzwerk füllte so ein Vakuum, das die radikale Linke selbst zu verantworten hat. Man könnte also auf ATTAC münzen, was Wigalf Droste über Wolf Biermann sagte: Politisch stehen sie nahe der Fernsehkameras und gleichzeitig die Linksradikalen auffordern, nicht nur telegene Prozessionen von KapuzenträgerInnen zu organisieren, sondern auch zu erklären, was das soll, statt sich medienscheu vor hingehaltenen Mikrofonen zu verstecken.

Integration ist das Ende der Bewegung

Einen zweiten Faktor nennt Markus Wissen in iz3w 258. Er stellt zu Recht fest, dass ATTAC konkrete und eingängige Forderungen formuliert, dafür aber eine Perspektive, die über das Bestehende hinaus weist, aufgibt und damit jegliche Herrschaftskritik ad acta legt. Anstatt unmittelbare Forderungen und eine adäquate Praxis zu entwickeln, werden alternative Regierungsprogramme formuliert und an das moralische Gewissen appelliert. Insofern widerspiegelt der Erfolg von ATTAC dann doch die gesellschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik, in der eine grundsätzliche Kapitalismuskritik im Gegensatz zu Frankreich und Italien eben noch immer eine Marginalie ist, auch wenn sie wieder Gehör findet.

Muss die radikale Linke also nicht gerade deshalb in ATTAC aktiv werden, könnte man noch einmal mit Rätz fragen. Davor ist zu warnen. Denn das Gerede von einem "globalen Gesellschaftsvertrag" oder der Forderung nach einem "globalen Marshallplan" (ATTAC-Sprecherin Susan George), wie es in Porto Alegre von ATTAC eingefordert wurde, öffnet nicht den politischen Raum für herrschaftskritische soziale Bewegungen, sondern schafft den ideologischen Humus, auf dem die teilweise recht unartikulierte, in ihrer Praxis aber durchaus radikale globalisierungskritische Bewegung in den gesellschaftlichen Mainstream integrierbar wird. Nicht umsonst bemühten sich die in New York beim Weltwirtschaftsforum versammelten ProtagonistInnen der neoliberalen Politik, die Staatschefs, IWFFunktionäre und UnternehmerInnen, um viel Verständnis für das bunte, sympathische Treiben in Porto Alegre. Gleichzeitig führen sie Krieg. Gelingt die Integration der Bewegung, ist sie wieder tot. Denn schließlich ist es ihr Reiz, dass sie ein System grundsätzlich in Frage stellt, dessen Legitimation offensichtlich angekratzt ist.

Ingo Stützle/ Boris Kanzleiter

Die Autoren engagieren sich in der Gruppe für eine linke Strömung (felS) in Berlin

Anmerkung:
1) Debatte unter anderem in der jungen Welt im Oktober 2001 vor dem ATTAC-Kongress,
Sondernummer der iz3w, sowie iz3w 258.

 

 
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Chancen nutzen!
Noch ist attac ein bunter Haufen

aus: ak 460, vom 22.03.2002
ak - analyse & kritik
Zeitung für linke Debatte und Praxis
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Seit einigen Monaten gründen sich an allen möglichen Orten der Republik attac-Gruppen. Der Zulauf ist enorm. Im letzten Oktober waren mehrere tausend Menschen auf dem attac-Kongress in Berlin. Die Zahl der eingeschriebene Mitglieder beträgt zur Zeit ca. 6.000. Fast täglich gibt es, oft in überfüllten Räumen, Veranstaltungen über Auswirkungen des Globalisierungsprozesses. Gegen die Privatisierungswelle im Gesundheitssektor ist attac vor Ort tätig, gegen Kürzungen im Bildungsbereich organisieren attac-Gruppen erste Demonstrationen.

Nicht nur in den Metropolen, auch an den abgelegensten Orten treffen sich wieder Menschen, um Veranstaltungsreihen zu planen und sich politischhandwerkliche Fähigkeiten anzueignen (wie organisiere ich einen Büchertisch, wo melde ich eine Demo an etc.) eine Entwicklung, über die Linke eigentlich mehr als erfreut sein sollten. In besseren Zeiten wäre dies als Chance angesehen worden, und man hätte sich ins praktische Geschehen gestürzt.

Aber was machen Teile der radikalen Linken? Sie stehen daneben und sinnieren darüber, ob man sich durch eine Beteiligung bei attac "nicht zum Fußvolk für die Profilisierungsgelüste abgehalfterter Politfunktionäre macht"? So geschehen in der letzten ak-Ausgabe in einer Replik auf einen Artikel von Werner Rätz (ak 456), der dort begründet hatte, "warum attac für die radikale Linke wichtig ist".

Ganz anders Ingo Stützle und Boris Kanzleiter schon zu Beginn ihres Artikels "Dabei sein ist alles". Für sie "sind die Linien zwischen attac und seinen KritikerInnen bereits klar gezogen und die Gräben tief ausgehoben." Also Haken dahinter und weiter im linksradikalen Tagesgeschäft. Die Autoren liefern mit ihrem Diskussionsbeitrag leider ein Beispiel für ein sektiererisches Politikverständnis; Abteilung: wir sind klein, wissen den richtigen Weg, und das ist gut so.

Um es gleich zu sagen: An attac lässt sich vieles kritisieren. Stützle/Kanzleiter listen einige Dinge auf. Nur: attac ist kein geschlossenes, monolithisches Gebilde und keine Partei mit festgezurrten Linien. Vieles ist noch in Bewegung; gut möglich, dass sich das in absehbarer Zeit ändert.

Ich plädiere dafür, zwei Ebenen zu unterscheiden: Das eine sind die "Verlautbarungen" von attac auf "zentraler" Ebene. Da lässt sich vieles kritisieren, und dort sollte eine radikale Linke auch die theoretische Auseinandersetzung führen und eigene empirische Untersuchungen vorlegen. Publikationsmöglichkeiten gibt es dafür reichlich. Allerdings sollten Vereinfachungen wie "attac gleich Tobin-Tax" unterbleiben. Dieser Zustand ist schon seit längerem überwunden.

Gespannt bin ich auch auf Untersuchungen aus der radikalen Linken zur - wenn mich nicht alles täuscht - gewachsenen Bedeutung der Finanzmärkte. Wenn sich die Kritik am Kapitalismus nur auf die Finanzmärkte konzentriert, dann ist das zu kritisieren, auch weil sich darin eine offene Flanke zu antisemitischen Stereotypen zeigen kann. Es nützt allerdings auch relativ wenig, Veränderungsprozesse in der Ökonomie einfach zu ignorieren. Denn neben Huffschmid sind auch Altvater und Hübner Stichwortgeber für attac. Altvater schreibt: "Die Finanztransaktionen haben also nur noch sehr wenig mit der realen Wirtschaft zu tun (...), auch wenn diese Entkopplung niemals total sein kann und sich krisenhaft Geltung verschafft." Und Hübner spricht von der "relativen Verselbstständigung des monetären Weltmarkts".

Ich plädiere dafür, an diesen Fragen in eine ernsthafte Auseinandersetzung mit attac zu gehen. Das setzt allerdings eine Untersuchung der Thematik voraus. So zu tun, als gäbe es diese Veränderungen in der Ökonomie nicht, ist schlicht und einfach sträflich.

Relativ einfach dürfte es sein, die Widersprüche zu attac in der Staatsfrage und bei prinzipieller Herrschaftskritik zu formulieren. Damit wäre ich bei der zweiten Ebene: attac hat sich schon seit einiger Zeit von der reinen Orientierung auf die Finanzmärkte weg bewegt. Gesundheits- und Bildungspolitik gehören ebenso zum Repertoire wie Friedenspolitik, Welthandel/WTO und Erwerbslosigkeit/Arbeit. Dies drückt sich sowohl auf zentraler Ebene wie in örtlichen Arbeitsgruppen aus. Dass attac sich von der reinen Orientierung auf die Tobin-tax schon lange entfernt hat, dürfte Stützle/Kanzleiter eigentlich nicht verborgen geblieben sein. Insbesondere vor Ort, aber auch in den zentralen thematischen Gruppen zeichnet sich die Arbeit dadurch aus, dass Menschen zusammenkommen, die unzufrieden sind mit der herrschenden Politik. Darunter sind viele junge, politische unerfahrene Leute ebenso zu finden wie "alte Strategen" mit vorgefertigten Meinungen.

Was ich wahrnehme ist, dass es sich bei der örtlichen Arbeit um einen offenen Prozess handelt, dass hier nach vielen Jahren wieder Menschen Politik machen, sich "qualifizieren". Das drückt sich in der Organisierung von Veranstaltungen und Büchertischen ebenso aus wie in der Organisierung in örtlichen Demonstrationen oder Bürgerentscheiden. attac entwickelt dabei eine gewisse Ausstrahlung in bestehende Organisationen, zieht aber vorrangig Menschen an, die sich von den bisherigen Politikangeboten nicht angesprochen fühlen. Als radikale Linke in diesen Prozessen nicht mitzumischen wäre grob fahrlässig. Ich behaupte: Herrschaftskritik kann dort auf fruchtbaren Boden fallen. Sie muss nur vorgetragen werden - und zwar nicht in dem Duktus: Wir sagen euch, wo es lang geht. Dabei sollten Linke ihre Qualifikationen zur Verfügung, aber auch die eigenen Positionen auf den Prüfstand zu stellen.

Die Offenheit von attac, da sollte man sich nichts vormachen, wird nicht ewig währen. Klügere Köpfe aus dem sozial-demokratischen Lager sehen attac (durchaus mit Recht) als Rekrutierungsfeld. Entwicklungen sind sowohl in Richtung Radikalisierung wie in Richtung Sozialdemokratie/Lobbyismus möglich. Gut denkbar, dass zunächst beides unter dem Label attac stattfinden kann. Man liegt aber wahrscheinlich nicht ganz falsch mit der These, dass sich zur Zeit unter dem Dach von attac Menschen versammeln, die aus unterschiedlichen Gründen mit den Auswirkungen kapitalistischer Politik nicht einverstanden sind und die - das ist das wichtigste - etwas dagegen tun wollen. Ob dabei eine stärkere Pointierung in Richtung Herrschaftskritik und emanzipatorische Bewegung gelingt oder sich die Re-Regulierungs- und Staatsoption durchsetzt, hängt auch von der Beteiligung radikaler Linker in diesem Prozess ab.

Georg Wißmeier

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LINKSRADIKALE UND ATTAC

Eine "neue Weltordnung" wollte George Bush senior seinerzeit mit dem 2.Golfkrieg etablieren. Der erste Krieg nach dem Ende der zwischen zwei Supermächten geteilten Welt mischte die Karten neu; ein Teil der alten Friedensbewegung wie der alten Linken wechselte ins Lager seiner Befürworter, viele verstummten, einige blieben kritisch. Auch für die war aber nicht so recht klar, was diese neue Weltordnung denn nun eigentlich sein sollte: Sie war offensichtlich ein auf militärische Macht gestütztes Herrschaftsprojekt, entzog sich aber ansonsten jeder genaueren Bestimmung. Heute heißt das Projekt Globalisierung und ist noch genauso schillernd wie vor zehn Jahren, hat aber seine eigene Gegenbewegung hervorgebracht. Und darin spielt ATTAC eine wichtige Rolle.

Das war eher Zufall. Es hätte auch andere treffen können, denn viele hatten sich bemüht, dem Widerspruch zur neuen alten Weltglobaliserungsordnung eine Stimme zu geben. Und die Idee, aus der Forderung nach einer Devisenumsatzsteuer eine breite Bewegung zu entwickeln, die gleichermaßen tagespolitisch orientiert wie bedingt kapitalismuskritisch sein sollte, macht doch eher den Eindruck einer Kopfgeburt. Seit über zehn Jahren hatten sich Gruppen vor allem aus der Soliszene bemüht, eine Kampagne gegen internationale Finanzinstitutionen aufzubauen. Die Aktionen gegen die IWF/Weltbank-Tagung 1988 in Berlin schienen der Durchbruch zu sein - und spätestens mit dem Fall der Mauer war das alles Makulatur; Geschichte schien sich in eine ganz andere Richtung zu entwickeln.

Zwar hatte sich bis 1997 gezeigt, dass die reale Entwicklung des Kapitalismus alles andere als das Ende der Geschichte gebracht hatte, aber die Formen und Stimmen der Gegenwehr blieben isoliert. Der Vorschlag einiger weniger französischer Intellektueller für eine "Vereinigung zum Zwecke einer Devisenumsatzsteuer zum Wohle der Bürger" (so die französische Ausschreibung von ATTAC) traf einen richtigen Punkt. Der konkrete Vorschlag einerseits und die mit ihm ausgedrückte Entwicklungsrichtung zugunsten politischer Eingriffe in die Ökonomie zwecks besserer Lebensverhältnisse überzeugte: In Frankreich traten Tausende bei, in vielen Ländern gründeten sich Ableger.

Auch in der BRD wurde im Januar 2000 das Netzwerk für die demokratische Kontrolle der internationalen Finanzmärkte gegründet, das sich später in ATTAC umbenannte. Es erwies sich im Wesentlichen als die Plattform zur Zusammenarbeit mehr oder weniger kleiner NGOs und verständigte sich in seiner Gründungserklärung auf eine Liste von Forderungen, von denen in der Praxis drei in den Vordergrund traten: die Ablehnung jeglicher Privatisierung in der Altersversorgung, die Forderung nach einer Devisenumsatzsteuer (sog. Tobin Tax) und nach Schließung der Steuerparadiese.

Trotz dieser verhältnismäßig großen inhaltlichen Breite, trotz klarer internationalistischer und Aktionsorientierung (ATTAC Deutschland war beteiligt an den Protesten gegen: Prager IWF/Weltbank-Tagung im Sommer 2000, EU-Gipfel in Nizza vor einem Jahr, das Weltwirtschaftsforum in Davos Januar 2001 sowie am Weltsozialforum in Porto Alegre zur selben Zeit) bleibt der deutsche Ableger klein. Erst Göteborg und vor allem Genua geben einen massiven Schub, die Mitgliederzahlen vervielfachen sich, Lokalgruppen entstehen in vielen Städten. Der Kongress im Oktober verstärkt diesen Trend: In wenigen Monaten ist ATTAC auch in der BRD eine wichtige Größe geworden.

Begehrlichkeiten und Ängste

Das weckt Begehrlichkeiten und Ängste aller Art. Einige wollen sich im Glanz der neuen Bewegung sonnen und andere fürchten den neuen reformistischen Superverein, der alle radikaleren Politikansätze erdrückt. Ein ruhigerer Blick auf das, was ATTAC ist und kann, wäre allen zu empfehlen. ATTAC hat gegenwärtig etwa 3000 formale Mitglieder, davon etwa 200 Organisationen, der Rest Einzelpersonen. In den über 50 Lokalgruppen und -initiativen arbeiten auch Leute mit, die nicht Mitglied von ATTAC sind. Eine Zahl von 5000 Menschen, die mehr oder minder eng mit ATTAC in der BRD verbunden sind, könnte realistisch sein. Das ist weit weg von einem allmächtigen Verband. Dem entsprechen auch nicht die Strukturen: Ein gewählter Koordinierungskreis von einem guten Dutzend Personen arbeitet ehrenamtlich mit etwa monatlichen Treffen. Ein Büro mit einer Handvoll Leute wird ebenfalls ganz überwiegend nicht bezahlt.

Auch inhaltlich ist ATTAC weder eine schlagkräftige spezialisierte Truppe, die wenige Themen perfekt beherrscht und alle Kraft dafür einsetzt, noch eine organisierte Strömung, die gemeinsam eine bestimmte Sicht der Welt propagiert. Längst sind andere Themen neben die drei ursprünglichen getreten (von der WTO über das Gesundheitssystem bis zum internationalen Patentrecht) und immer noch ist es so, dass bei einigen Themen die vorhandenen Meinungen innerhalb von ATTAC weit auseinandergehen.

An nichts könnte das besser deutlich werden als an der Frage, was man denn nun ist: Gloabalisierungsgegner, -kritikerin, - gestalter; Gegnerin der kapitalistischen, neoliberalen, ökonomischen Globalisierung, Internationalist, Antikapitalistin, Reformer? Alle diese Selbstzuschreibungen sind vorhanden und existieren nebeneinander fort. Und dazu kommen unzählige Fremdzuschreibungen, die zwar meistens mehr über die Autoren als über ATTAC sagen, die z.T. aber auch bewusst angenommen werden.

ATTAC bezieht seine Stärke also weder aus einer engen Ein-Punkt-Spezialisierung wie es etwa die Erlassjahrkampagne am Thema Verschuldung versucht hatte. Es ist auch nicht die große Zahl von Menschen, die bei ATTAC mitarbeiten oder von ATTAC mobilisierbar wären, wie es bei der Friedensbewegung der 80er Jahre der Fall war. Es fehlt der durchsetzungsfähige, schlagkräftige Apparat, wie ihn die DKP vor 1989 hatte. Und auch das Angebot einer zusammenhängenden Erklärung der Gesellschaft, wie es etwa kommunistische Gruppen aller Schattierungen auszeichnet, ist bei ATTAC Fehlanzeige.

All diese Momente können - und werden auch - als Schwächen und Defizite von ATTAC kritisiert werden. In der Tat kann niemand vorhersehen, ob und welches der beschriebenen Phänome sich einmal als Sargnagel erweisen könnte. Heute jedenfalls wirken sie alle zusammen als die entscheidende Stärke von ATTAC: ATTAC ist erkennbar offen - inhaltlich, praktisch, aktionsmäßig. Menschen können sich einbringen, von ihnen werden keine Eintrittskarten verlangt dergestalt, dass sie Vorleistungen bezüglich Position, Erfahrung, Wissen erbringen müssten.

Nicht revolutionär

Es war von Anfang an bei der Gründung von ATTAC in der BRD gemeinsame Überzeugung, dass es in diesem Land eine große Zahl von Menschen gäbe, die mit den Verhältnissen unzufrieden sind. Ihnen fehlen z.T. die Begriffe dafür oder die Kommunikationswege, um das anderen mitzuteilen; einige erleben sich als vereinzelt; manchen fehlen Mut und Erfahrung für öffentliches Auftreten. Und, vor allem: Sie können und wollen nichts mit den bestehenden Angeboten für politisches Engagement anfangen. Weder angeblich reformorientierte Parteien noch themenspezialisierte Bürgerinitiativen, weder linksradikale noch menschenrechtliche Gruppen, weder Soliszene mit der Dritten Welt noch Umweltaktivismus war das, was sie gerne machen würden.

Es sollte schon um Ökonomie gehen und um die ganze Gesellschaft - aber ohne dass fertige Antworten gleich mitgeliefert würden. Das Ganze sollte halbwegs professionell und frei von dem behäbig-alternativen Image der Altlinken sein. Man wollte etwas tun, aber ohne sich für alles Mögliche zu binden, etwas Konkretes sollte es sein, ohne dass daraus Ansprüche abgeleitet werden könnten nach dem Motte, wer A sage müsse auch B sagen.

Ein junges ATTAC-Mitglied hat das mal so beschrieben, dass er und seine Generation kein Richtigkeits- sondern ein Nützlichkeitsverhältnis zu Politik hätten; sie fragten nicht, was grundsätzlich notwendig und richtig sei, sondern was ihnen hier und jetzt nützlich erscheine. Eine andere Welt ist möglich, aber Stück für Stück und ohne sich von ihrem Bild erdrücken zu lassen. Diesem Gefühl hat ATTAC einen Platz geschaffen. ATTAC ist die organisatorische Form, in der sich dieses diffuse Unbehagen an den Verhältnissen in politische Dynamik verwandelt.

ATTAC ist also demnach selbstverständlich keine revolutionäre Bewegung. Es hält an der erfolgreichen Gründungsidee fest, eine tagespolitische Zuspitzung in einer Forderung o.ä. zu suchen und dahinter unterschiedliche Begründungen und weitergehende Ideen bestehen zu lassen. Wäre alles das, was ATTAC heute fordert, tatsächliche Politik etwa der Bundesregierung, so wäre es die Aufgabe der radikalen Linken, diese Politik scharf zu kritisieren.

Aber, und das würde eine solche Situation von der heutigen unterscheiden, die Lebensbedingungen der Menschen wären entschieden andere. ATTAC will die Politik der Umverteilung von unten nach oben umkehren. Dieses Ziel teile ich als radikaler Linker mit ihnen und bis dahin haben wir einen gemeinsamen Weg. Danach wird man sehen.

Heute existiert keine revolutionäre Situation, in der es darauf ankäme, schnell, entschlossen und weit in eine Richtung voranzugehen. Das kann sich ändern. Man kann aus den Ereignissen beim Untergang der DDR ja auch diese Lehre ziehen, dass Geschichte manchmal scheinbar aus dem Nichts sehr schnell werden kann - und da steht die Richtung nicht vorher fest, es könnte auch mal die unsere sein.

Es ist wichtig, dass radikale linke Politik diese Möglichkeit nicht aus den Augen verliert, die Idee nicht aufgibt, bei passender Gelegenheit die Verhältnisse wirklich gründlich über den Haufen zu werfen. Aber diese Gelegenheit kann man nicht willkürlich herstellen. Um sie wahrnehmen zu können, ja um sie überhaupt nur zu bemerken, müssten wir entstehende Dynamiken erkennen und Teil von ihnen werden. Die Chancen dafür stehen bei all denen wirklich nicht gut, die immer schon vorher wissen, was richtig und falsch ist. Politische Dynamik ist ein Prozess, der widersprüchlich und höchst sprunghaft, im Konkreten fast immer "falsch" verläuft und dessen Charakter sich erst durch seine historische Richtung zeigt.

Radikalität, praktische Veränderungsbereitschaft, entsteht in diesem Prozess, nicht außerhalb. Wer sich daneben stellt, mit den Fingern zeigt und "Pfui, Reformismus!" ruft, mag zwar recht haben, bleibt aber eben daneben und draußen aus diesem Prozess. Wer als Revolutionär bestehende Dynamiken verachtet, springt immer und systematisch zu kurz, völlig egal, ob diese Dynamiken auf Tagesforderungen oder aufs Grundsätzliche gerichtet sind.

Es ist die Richtung, die über die Qualität solcher Prozesse entscheidet, nicht die (Verbal-)Radikalität ihrer Selbstinszenierung. Im Konkreten kann "Brot und Frieden" so gut zur sozialistischen Revolution führen wie "patria libre o morir" in den Korruptionssumpf. Wenn Menschen unter schlechten Bedingungen leiden und dagegen kämpfen, ist es die Aufgabe der Linken, dabei zu sein. Alles andere wäre nicht nur zynisch, es wäre auch zum Misserfolg verurteilt. Die Menschen sind nicht dumm, auch wenn's manchmal so scheinen mag. Sie werden keiner Politik folgen, die ihre Alltagsbedürfnisse für das große, weit entfernte Ziel der Revolution opfert.

Sie werden sich für dieses Ziel auch nicht erwärmen lassen, wenn erst mal statt der Kapitalisten die radikalen Linken das Sagen hätten und sie zur klassenlosen Gesellschaft führen wollten. Sozialistische Veränderungen werden nur gelingen, wenn sie getragen werden von Mehrheiten. Die bestehen nicht als feste Größen, sie entwickeln und verändern sich in Kämpfen und Dynamiken, die fast immer bei konkreten Alltagsbedürfnissen beginnen. Der Unterschied zwischen Reformisten und Revolutionäre besteht darin, dass die einen Veränderungen ausdrücklich auf diese Bedürfnisse beschränken, die anderen sie ausdrücklich darüber hinaustreiben wollen. Was davon in der politischen Praxis Bestand hat, ist eine andere Frage. Aber wer einen prinzipiellen Widerspruch zwischen (reformistischer) Tagespolitik und (sozialistischer) Revolution konstruiert, versteht weder was von Revolution noch von Sozialismus!

Werner Rätz (Bonn)

 

 
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