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Kongress-Seite
 

"Schöne neue Nanowelt"

Risiken der Nanotechnik

Vier Jahre nach dem Ende des Internetbooms sind erste Anzeichen eines neuen Hypes erkennbar. Sein Signum: das Kürzel „nano“, das sich anschickt, die Rolle des „e-„ aus den Anfangstagen des World Wide Web einzunehmen. Schon macht sich an der Wall Street eine nervöse Spannung breit, legen Investmenthäuser wie Merrill Lynch erste „Nano“-Börsenindizes auf. Besonders optimistische Advokaten der neuen Welle schwärmen gar von einer „zweiten industriellen Revolution“, die unmittelbar bevorstehe.

Die meisten Zeitgenossen haben jedoch nur eine nebulöse Vorstellung davon, was „Nanotechnik“ eigentlich ist. 80 Prozent der US-Amerikaner verbinden mit dem Begriff wenig oder nichts, wie eine Studie im Juli zutage förderte. Denn anders als bei bisherigen Technikneuerungen hat sie – noch – keine charakteristische Anwendung, die bald in unseren Alltag einziehen könnte. Das unterscheidet die Nanotechnik bislang von der Informationstechnik, die uns den PC bescherte, von der Biotechnik, die die künstliche Befruchtung und das Klonen hervorbrachte, oder der Gentechnik, die Bauern in aller Welt mit unnatürlich pestizid-resistentem Saatgut konfrontiert.

Und doch hat die Nanotechnik einen höchst realen Kern. Unter diesem Begriff werden sämtliche Technologien zusammengefasst, die Objekte manipulieren und nutzen, die kleiner als 100 Nanometer sind (ein Nanometer ist ein Millionstel Millimeter): Dazu gehören Moleküle und kleinste Metall- und Halbleiterteilchen ebenso wie biologische Zellapparate. Der deutsche Physiknobelpreisträger Gerd Binnig übertreibt nicht, wenn er feststellt, dass wir mit der Entstehung der Nanotechnik Zeugen „einer zweiten Genesis, einer grundlegend neuen Evolution von materiellen Strukturen“ würden.

Die könnte uns noch kleinere und leistungsfähigere Prozessoren, „maßgeschneiderte“ Werkstoffe, hochempfindliche Sensoren oder „intelligente“ Medikamente bescheren. Die darauf aufbauenden Anwendungen klingen recht brauchbar. Wer könnte sich nicht für Fensterscheiben begeistern, die sich selbst reinigen, für Therapien, die Tumore ohne chemische Keulen beseitigen, für hauchdünne Beschichtungen, die Sonnenlicht auf beliebigen Oberflächen in Strom umwandeln, oder für Speicherchips von der Größe einer Cent-Münze, die eine komplette DVD fassen.

Kein Wunder, dass Nanoforscher, Venture-Kapitalisten und Finanzmärkte sich rundherum begeistern können für diese Epoche der Technik, die nun anbrechen soll. Wenn da nicht noch das „Kleingedruckte“ wäre, ohne das keine neue Technik je über uns gekommen ist. Dabei handelt es sich allerdings nicht um die Amok laufenden Nanoroboter, denen der amerikanische Thrillerautor Michael Crichton 2002 seinen Bestseller „Beute“ widmete. Die existieren nur als Simulationsrechnungen im Computer einiger Nanofreaks. Die Scientific Community hatte folglich leichtes Spiel, diese Vision als Science Fiction zu entsorgen – um dann wieder zur Tagesordnung übergehen zu können.

Doch längst braut sich ein realer Sturm zusammen. Toxikologen haben nämlich einige der Science Fiction gänzlich unverdächtige Ingredienzien der Nanotechnik unter die Lupe genommen: unter anderem Nanoteilchen aus Titandioxid sowie zwei Molekülformen des Kohlenstoffs, so genannte Nanotubes und Buckyballs. Während erstere inzwischen in Sonnenmilch, aber auch in Nanosolarzellen eingesetzt werden, gelten letztere als Wundermaterial für künftige Computerschaltkreise und Medizintherapien. Der Befund lautete: Titandioxid ist als Mikrokörnchen harmlos, als Nanoteilchen hingegen potenziell toxisch; Nanotubes, hauchfeine lange Röhren, könnten ähnlich schädlich wie Asbestfasern sein; und Buckyballs haben Fischen Hirnschäden beigebracht.

Nun wurde diese Problematik erstmals von den kanadischen Aktivisten der ETC Group mit viel medialem Lärm unters Volk gebracht. Die forderten anfangs nichts weniger als einen einjährigen weltweiten Forschungsstopp in der gesamten Nanoforschung – angesichts der Diversität dieses Gebietes unsinnig. Da war es für die Wissenschaftler ein Leichtes, sich entrüstet an den Kopf zu greifen. man werde das Problem ernst nehmen.

Doch in den letzten Monaten hat sich die Lage geändert. Mit der Swiss Re, der zweitgrößten Rückversicherung der Welt, hat kürzlich erstmals ein Global Player die möglichen Gefahren von Nanoteilchen thematisiert. Der Rest der Versicherungsbranche hat diese ebenfalls auf dem Radar. Vor zwei Wochen legten nun auch die jeglicher Panikmache unverdächtigen Royal Society und Royal Academy of Engineering in Großbritannien gemeinsam eine Sicherheitsstudie über die Wundermaterialien vor. Fazit: Technisch produzierte Nanoteilchen sollten bis zum Beweis des Gegenteils erst einmal als potenziell gefährlich eingestuft werden.

Diese Beiträge kommen für die Nano-Gemeinde zur Unzeit. Das Eingeständnis eines ungeklärten Risikos könnte schließlich den üppigen Fluss der Forschungsmilliarden (2004: weltweit schätzungsweise 10 Mrd. Euro) womöglich an Auflagen binden. Also besser nichts kommentieren, um einer Regulierung zu entgehen? Eine erstaunliche Haltung, da aus den Erfahrungen mit Atomkraft und Gentechnik eigentlich klar sein müsste, dass das Ende umso dicker kommt, je später man sich der Schattenseiten einer neuen Technik annimmt. Aber in Sonntagsreden zeigt man sich lediglich besorgt, dass diese nicht in „falsche Hände“ geraten dürfe, und beteuert, man werde das Problem ernst nehmen.

Das ist nicht nur naiv, es wird auch der Realität der Nanoforschung nicht gerecht. Zwar gibt es zurzeit nur wenige echte nanotechnische Produkte. Die meisten sind zudem Werkstoffe, in denen Nanoteilchen fest in ein Trägermaterial eingebettet sind. Doch schon jetzt engagiert sich in einigen Ländern das Militär auf dem neuen Gebiet, wenn auch „nur“ für defensive Anwendungen – eine Unterscheidung, die die Konfliktforschung ohnehin als nicht haltbar einstuft. Außerdem ist abzusehen, dass Bio- und Gentechnik, die seit Jahrzehnten mit DNS und Proteinen, also Molekülen, arbeiten, in der Nanotechnik aufgehen werden. Auch wenn niemand Science-Fiction-Nanoroboter entwickelt, sind von der Biologie inspirierte Nanomaschinen sehr wohl Gegenstand diverser Forschungsgruppen in aller Welt. Damit gibt es ein potenzielles Risiko auch unterhalb der Schwelle Amok laufender Roboter. Drittens: Die Atomkraft hat den Unsinn einer an sich neutralen Technik eindrucksvoll widerlegt, denn sie war nur um den Preis einer latent repressiven Sicherheitsinfrastruktur zu realisieren.

Die Nanoforscher können sich auch nicht länger über die maßlose Forderung eines Forschungsstopps seitens der Kritiker entrüsten. Denn der wird nicht einmal mehr von der ETC Group vertreten. „Die ganze Palette von nanotechnischen Anwendungen mit einer einzigen politischen Maßnahme anzugehen, ergibt keinen Sinn“, räumt Douglas Parr von der britischen Greenpeace-Sektion ein.

Was also tun? Der kanadische Abrüstungsexperte Sean Howard hat vorgeschlagen, in Analogie zum UNO-Abkommen über die friedliche Nutzung des Weltraums, dem „Outer Space Treaty“, ein „Inner Space Treaty“ auszuarbeiten. Diese Analogie lässt sich sicher nicht eins zu eins umsetzen. Aber die Nano-Community selbst sollte beginnen, sämtliche vorstellbaren Anwendungen heutiger Forschungsprojekte zunächst einmal in eine „harte“ – nicht weiter zu verfolgende – und in eine „weiche“ Nanotechnik zu kategorisieren.

Unter harte Nanotechnik könnten Objekte fallen, die Organismen oder biologische Prozesse schädigen oder unkontrollierbar verändern können, oder Technologien, die nur in zentralisierten Hochsicherheitstrakten realisiert werden können. Die „weichen“ selbstreinigenden Fenster, Nanosolarzellen oder DVD-Speicher wären noch Fortschritt genug. Die Nanotech-Kritiker haben genug Vorleistung erbracht. Jetzt muss die Nanoforschung sagen, wie sie eine dystopische Zukunft vermeiden will.

Niels Boeing, 10.8.2004, taz