Strategisches Schweigen

Geschlechterhierarchie ist keine Nebensache

Kriege werden nicht um Menschenrechte geführt, sondern aufgrund von ökonomischen und geopolitischen Interessen: Darüber besteht in der Antikriegsbewegung weitgehend Übereinstimmung. Weit weniger selbstverständlich ist es, die Geschlechterverhältnisse als grundlegendes Moment von Krieg, Militarisierung und Kriegslogik zu sehen. Auch in der Anti-Kriegsbewegung taucht dieses Gewaltverhältnis höchstens als Neben-Sache auf: als "Frauen-als-Opfer" oder "FrauenundKinder-als-Opfer".
Dies ist kein Zufall. Wir sehen in der Nicht-Benennung von Geschlechterverhältnissen bzw. -hierarchien und Zweigeschlechtlichkeit ein ›strategisches Schweigen‹. Und wir gehen davon aus, dass dieses Schweigen ge-brochen werden muss, wenn grundlegende Fundamente und Voraussetzungen von Krieg, Militarisierung und Kriegslogik erfasst werden sollen.
Wir - von Crossover und dem Antipatriarchalen Netz - haben keine einfachen Lösungen. Doch wir wollen Raum für Prozesse schaffen, in denen diese Fragen weiter diskutiert und entwickelt werden können. Unter-schiedliche Macht- und Herrschaftsverhält-nisse sind untrennbar miteinander verknüpft. Daher muss eine linksradikale Perspektive gegen Krieg Ein-Punkt-Debatten überwinden und Patriarchat, Antisemitismus, Heterosexismus, Kapitalismus und Rassismus in ihren Verschränkungen thematisieren. Das heißt, die üblicherweise getrennten Diskussionsstränge zusammenzubringen - nicht nur theoretisch, sondern auch in der Praxis.
Wir möchten unter anderem folgende Perspektiven in den aktuellen Antikriegs-Widerstand einbringen und auf dem BUKO weiterdiskutieren:

  • Die Aufrechterhaltung und Legitimation von Hegemonie basiert auf binärem Denken. Das bedeutet Abgrenzung vom und Abwertung des (vermeintlich) ›Anderen‹ - seien es nun Frauen, "unzivilisierte Völker" oder nicht industrialisierte Gesellschaften. Dualismen wie Mann-Frau, Täter-Opfer, Schwarze-Weiße... werden über Zuschreibungen im hegemonialen Diskurs ›aufgeladen‹, stereotypisiert und naturalisiert. Diese Polaritäten sind in grundlegende WahrNehmungsmuster eingeschrieben und bestimmen unser tägliches Denken, Fühlen und Handeln. Da in Kriegsdiskursen immer nur das instrumentalisiert werden kann, was kulturell verfügbar gehalten wird, geht es uns zunächst darum, grundlegende WahrNehmungs- und Deutungsmuster aufzuspüren. So knüpft zum Beispiel aktuell die mediale Kriegsführung mit Bildern wie "Barbarei versus Zivilisation" (und der damit einhergehenden Konstruktion des religiös-fundamentalistischen islamischen ›Anderen‹) an kolonialeArgumentationsmuster und Stereotypenan.
  • Das Modell der Zweigeschlechtlichkeit als existierende Geschlechterordnung bringt sowohl sexistische Ge-waltverhältnisse als auch kriegerische und durchmilitarisierte Strukturen her vor - und basiert darauf. Eine antipatriarchale Antikriegsposition verweigert sich nicht nur bipolarer Positionierung, sondern sieht in einem vereindeutigenden ›MannFrau-Konzept‹ - das letztlich mit Gewalt durchgesetzt wird (Beispiele hierfür sind zahlreich, etwa die Verstüm-melung von Zwittern zu geschlechtsein-deutigen Wesen) - ein Fundament für die Kriegsfähigkeit und Mobilisierbarkeit der Gesellschaft für den Krieg. Auf dieser Grundlage wären Angriffe auf die dualistische Geschlechterordnung mit ihren klaren Wertigkeiten in gesellschaftlichem Sinne ›wehrkraftzersetzend‹, weil sie klare Wertigkeiten außer Kraft setzen und an einer ›kriegswichtigen Front‹ Desorientierung verbreiten.
  • Gerade wir im globalen Norden müssen anfangen, die Normalität unserer hiesigen Lebensweise zu hinterfragen und in die Entwicklung einer radikalen Antikriegsposition einzubeziehen. Unsere Lebensweise ist strukturell und sozial dadurch gekennzeichnet, dass alles, was keine Profite bringt, was nicht marktfähig und nicht verwertbar ist, marginali-siert wird. Ausschluss, Konkurrenz und Existenzkampf bilden die Grundlage für Kriegslogik. Die negativen Folgen werden - analog zum ›strategischen Schweigen‹ -abgewälzt, ausgelagert, aus dem öffentlichen Bild und Bewusstsein geschoben. Dies geschieht nicht zufällig häufig als Frauenarbeit. Doch machen Einsparungen und Ausblendungen bestimmte Aufgaben nicht überflüssig und die Folgen wie Umweltzerstörung und soziale Verelendung nicht ungeschehen. Unsere Lebensweise basiert also auf ökologischer und sozialer Zerstörung, aber auch auf der Ausblendung von beidem. Slogans wie "Kein Blut für Öl" lassen aus, dass unsere Lebensweise auf Öl basiert.

Anti-Kriegs-Widerstand, der sich auf die Idee von "gegen-Macht" reduziert, bricht nicht mit der Macht-Logik. Es geht aber um das Ausserkraftsetzten des Machtsystems selbst.

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