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![]() VERTRIEBEN VON DEN 'BÖSEN', EINGEPFERCHT VON DEN 'GUTEN'Flüchtlinge als Manövriermasse internationaler Politik"Pläne für den Irak-Krieg: Jeder Krieg bedeutet für die betroffenen Bevölkerungen Vertreibung. Seien dies 'kalte Kriege', 'heiße Kriege', 'Bürgerkriege', Kriege niedriger Intensität, oder soziale Kriege. Am Ende von Kriegen stehen zerstörte Infrastruktur, vergiftete Felder, zerbombte Städte, kaputte Wohnungen, verlorene Arbeitsplätze, verwüstete und entvölkerte Landstriche. Viele Kriege haben allerdings genau dieses Ziel. Krieg und Bevölkerungspolitik, Krieg und Völkermord, Krieg und Vertreibung, Krieg und Flüchtlingspolitik sind wie Zwillingspaare. Der historische Imperativ Als Ende der 1930 Jahre absehbar wurde, das der Nationalsozialismus auf den Genozid von Juden, Roma und anderen ausgesonderten Gruppen hinauslaufen würde, trafen sich die westlichen Alliierten in Evian, dort, wo im Mai dieses Jahres der G8 Gipfel stattfindet, um im Rahmen einer internationalen Flüchtlingskonferenz über die Lösung des Flüchtlingsproblems zu beraten. Das Ergebnis war gleich null, es sollte keine internationale Rettungsaktion geben, es sollte keine Evakuierung geben, und die Einwanderungsquoten der besagten Staaten sollten auch nicht zugunsten der europäischen Flüchtlinge erhöht werden (Heim 1993). Länder wie Großbritannien oder Argentinien nahmen nur solche Flüchtlinge auf, die ihnen von ökonomischem Nutzen waren (Paulsson 2002). In diesem Punkt teilten Nazis und Alliierte ein und denselben Rassismus: Antisemitismus und Flüchtlingspanik (London 2000). Damit war der letzte Ausweg versperrt, die unerwünschten Menschen wurden dem NS ausgeliefert und fielen Millionenfach dem Holocaust zum Opfer. Nach dem zweiten Weltkrieg gerieten die Vertriebenen und Flüchtlinge in die Mühlen des Kalten Krieges. Zwei Organisationen, beide 1951 gegründet, der UN Hochkommisar für Flüchtlinge (UNHCR) und die damals noch unter dem Kürzel PICMME/ICEM firmierende International Organisation for Migration (IOM) konkurrierten miteinander. Auf der einen Seite stand ein universell-humanitärer Ansatz und eine multilaterale Organisation (UNHCR), auf der anderen Seite eine ökonomisch ausgerichtete, von den USA dominierte und allein den westlichen Alliierten gesteuerte Organisation (IOM) (Feldblum 1999). Flüchtling war nicht gleich Flüchtling. Bevorzugt behandelt wurden Vertriebene aus den nun kommunistischen Staaten, oder Flüchtlinge aus den Staaten hinter dem 'Eisernen Vorhang', aus Ungarn, der Tschechoslowakei oder der DDR. In jener Zeit setzte sich das liberale Ideal der Bewegungsfreiheit durch, doch schnell sollte sich zeigen, das auch dies weder universal galt, noch für alle Flüchtlinge gedacht war. An dem Zynismus von 1938, dem Funktionalismus von 1951, und dem Selektionismus des Kalten Krieges muß sich heute jede humanitäre Flüchtlingspolitik messen lassen. Der fortwährende Haß auf die Unerwünschten Spätestens seit die Warschauer Pakt-Staaten Flüchtlinge aus politischem Kalkül zunächst die Durchreise nach Westeuropa erlaubt hatten, insbesondere aber seit Flüchtlinge nach dem Fall des 'Eisernen Vorhangs' bis nach Westeuropa gelangen können, steht das 'Flüchtlingsproblem' auf der internationalen Tagesordnung. Flüchtlinge und andere Formen unkontrollierter Migration werden von der internationalen Politik heute als Sicherheitsrisiko betrachtet (Weiner 1995). 'Illegale Migration', ein Synonym für unerwünschte und häufig kriegs- und krisenbedingte Wanderungsbewegungen, rangiert gelegentlich noch vor 'internationalem Terrorismus' und dem 'organisierten Verbrechen' auf der Skala internationaler Bedrohungen (Pargeter 2001). Auf Flüchtlinge konzentriert sich heute der ganze Haß der internationalen Staatengemeinschaft, er kommt mitunter mit einer Wucht und Aggressivität daher, der ebenso abstoßend wie rassistisch ist. Zwar werden auf der einen Seite viele dieser fluchtverursachenden Krisen und Kriege von der westlichen Welt lanciert, die Kriegsparteien mit Waffen ausgestattet, nationale oder regionale Eliten zu ihrem aggressiven Vorgehen ermuntert. Auf der anderen Seite war die Einreise von Hunderttausenden von BosnierInnen nach Österreich und Deutschland, die Flucht von TamilInnen nach England, oder die Flucht von AngolanerInnen nach Frankreich unerwünscht. Flüchtlingslager sind das Paradigma einer Gesellschaft im Kriegszustand Zur Technologie der Eindämmung von unerwünschten Migrations- und Fluchtbewegungen gehört das Lager, Zeltlager, Containerlager, Militärbaracken oder abgelegene Inseln. Lager in Pakistan, auf Timor, auf Nauru, in Sachsen oder Oxfordshire. Lager gehören zur Infrastruktur der Politik der Massendeportation, allein in der Europäischen Union werden jährlich rund 350.000 Menschen abgeschoben, eine Zahl, die sogar noch gesteigert werden soll. Mit ihren Zäunen, Einlaßkontrollen und reglementierten Ablaufen, mit Besuchsverboten, gekürzten Rationen und Residenzpflicht repräsentieren Lager ebensosehr einen totalitären Zugriff auf die Menschen wie für eine erneute, nachhaltige Traumatisierung. Das Flüchtlingslager ist ein Charakteristikum unserer Zeit (Agamben 2001). Solchen 'totalen Institutionen' sind Grausamkeiten inhärent. Teil eines Krieges ist der 'Krieg gegen die Flüchtlinge' So wurde die Flüchtlingspolitik während des Kosovo-Krieges eingeschätzt (Glöde und Dietrich 2000). Zu jedem Krieg, ja zu jeder Kriegsvorbereitung gehören deshalb heute Pläne zur Eindämmung der Fluchtbewegungen und Vorbereitungen zur Aufnahme der Flüchtlinge. Konferenzen werden abgehalten und Konzepte erarbeitet, Vorräte werden angelegt, Zeltlager vorbereitet, Auffanglinien eingerichtet und zivile und polizeiliche Truppen aufgestellt. Nicht die Opfer bestimmen, wohin sie gehen, sondern die Flüchtlingsmanager am 'Grünen Tisch'. Sie entscheiden über das Ziel der Flüchtlinge, sie entscheiden nach dem Krieg, wer wann wohin darf oder muß, und in letzter Konsequenz entscheiden sie auch über Leben und Tod. Dies war der Fall während des ersten Golfkrieges, während des Kosovo-Krieges, der Ost-Timor-Krise und des Afghanistan-Krieges. Seither werden sogenannte 'safe havens' unter der Ägide des UNHCR, der IOM oder von NGOs eingerichtet und Flüchtlinge 'krisennah' in Lagern zusammengepfercht, so in Albanien oder in Pakistan. Mitunter werden ganze Regionen in Flüchtlingslager verwandelt, so jedenfalls mutete es an, als US-Amerikanische Truppen die Grenze zwischen Usbekistan und Afghanistan mit Stacheldrahtverhauen abriegelten. Jene, die es dennoch schaffen, den Krisenregionen zu entkommen, werden von den Grenzschützern und Militärs vor den Küsten Australiens, Italiens oder Indonesiens abgefangen, zu Transporten zusammengefaßt, und entweder interniert oder zurückgeführt. Auf diese Art hat beispielsweise die IOM ganz Südostasien von irakischen und afghanischen Flüchtlingen gereinigt. Im Krieg gegen die Flüchtlinge zählen internationale Menschenrechte und Flüchtlingsrechte nur noch wenig, vieltausendfach werden sie im Zuge der Abwehrpolitik gebrochen (siehe u.a. Human Rights Watch 2002). Mit dem Militär gegen Flüchtlinge Auf dem Helsinki-Gipfel der EU wurde außerdem beschlossen, Truppen für "nicht-militärisches Krisen-Management" aufzustellen. Solche "paramilitärischen Polizeikräfte bieten ...die Fähigkeit zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung dort, wo Abwesenheit staatlicher Legitimität herrscht". Sie soll bis zu 5.000 Beamte umfassen, Vorbild ist der Einsatz von 3.300 solcher Einheiten auf dem Balkan. Doch in Zukunft denkt die EU an weltweite Einsätze, "es ist in unserem eigenen Interesse, für mehr Frieden, Stabilität und Sicherheit zu arbeiten, nicht nur in Europa, sondern auch jenseits unserer Grenzen. Das Ergebnis wären verläßlichere Partner, sichere Investitionen, stabilere Regionen und in Zukunft weniger Krisen" (Solana). Gründe für den Einsatz solcher Truppen sollen "zunehmende Gewalt, die Recht und Ordnung destabilisiert, Bruch des Friedens, Ausbruch von Kämpfen, bewaffnete Konflikte, massive Bevölkerungsbewegungen" sein. Damit erklärt die EU unverblümt, daß der Balkaneinsatz, der Einsatz von bewaffneten Einheiten außerhalb der Grenzen der EU zur Eindämmung von Migrations- und Fluchtbewegungen Muster für weitere ähnliche Operationen ist. Sie droht offen all jenen Staaten militärische Interventionen an, die die Kontrolle über ihre Bevölkerungsbewegungen verlieren (vergl. WEU 1999, EU 2000). Wiederaufbau und Migrationskontrolle Mit den Beschlüssen von Tampere, Sevilla und dem Cotonou-Abkommen formulierten die Mitgliedstaaten der EU auch die Absicht, Entwicklungshilfe und technische Zusammenarbeit an Bedingungen im Bereich der Migrationspolitik zu knüpfen. Solch eine Verknüpfung von Migrations- mit Entwicklungspolitik reicht, zumindest soweit dies für die Bundesrepublik nachvollziehbar ist, auf die Mitte der 90er Jahre zurück. 1995 hatte die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), ein Bundesunternehmen des Ministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), einen neuen Programmpunkt Migration aufgelegt. Sie formuliert damit den Anspruch, zu einer "Leitorganisation für Katastrophen- und Flüchtlingshilfe" zu werden. Die Themenstellung "Entwicklungszusammenarbeit als Prävention gegen Konflikte und Migration" ließ bereits erkennen, daß es neben der Prävention von Vertreibung um die Verhinderung von Migration gehen würde (Moßmann 1995). Auch die US Agency for International Development hatte im Rahmen des Kosovo-Krieg an maßgeblicher Stelle die strategischen und logistischen Auffanglinien gegen die Flüchtlingsbewegungen implantiert sowie die Arbeit der NGOs organisiert und überwacht. Die Globalisierung des Migrationsregimes Unter dem Eindruck der Flüchtlingskrisen des ausgehenden 20. Jahrhunderts sowie unter dem Einfluß der neoliberalen Ideologie wurde die internationale Flüchtlingspolitik modernisiert, oder, mit anderen Worten, verschärft. Verstärkt treten internationale und transnationale Prozesse an die Stelle einzelstaatlicher Initiativen. Die Nationalstaaten haben sich im Kampf gegen die internationale Migration zu mächtigen Allianzen zusammengetan und zahlreiche neue Instrumente geschaffen. Dabei nehmen sie sich die Instrumente zur Steuerung und Kontrolle der globalen Finanzströme (IWF) oder des weltweiten Handels (GATT) zum Vorbild. Die Vision besteht in einem internationalen Migrationsregime, oder einem Allgemeinen Abkommen über die Bewegung von Menschen (GAMP) (Hollifield 1998, Ghosh 2000). Insbesondere in Form der International Organisation for Migration (IOM) wird seit 2000 die Migrationskontrolle und Fluchtbekämpfung globalisiert (IOM 2000). Und in dem Maße, in dem der Neoliberalismus alle Entscheidungen zugrunde liegt, wird Politik nach ökonomischen, markwirtschaftlichen und Nützlichkeitskriterien gestaltet. Für Flüchtlinge und Migranten bedeutet dies, humanitäre Kriterien werden in den Hintergrund gedrängt, statt dessen entscheidet zunehmend die Nachfrage durch den Arbeitsmarkt oder so zynische Kategorien wie Humankapital darüber, ob Menschen erwünscht oder unerwünscht sind. Internationalistische Flüchtlingssolidarität Es ist irritierend, wie stark sich die internationalistische Bewegung an den Institutionen zur Steuerung von Finanzen und Waren abarbeitet, während die Instrumente zur Steuerung der Bewegungen von Menschen bislang weitgehend ungeschoren davonkommen. Wie auch immer, das soll sich nun ändern. Zunehmend geraten die IOM, aber auch der UNHCR, bestimmte Einrichtungen der EU sowie deren Kooperationspartner unter den NGOs in die Kritik. Gegen die kleinliche Auslegung des Flüchtlingsbegriffes und gegen ökonomische Kriterien fordern radikale Positionen "ein Recht auf Bewegungsfreiheit - gegen globales Migrationsmanagement" (NoBorder 2002). An erster Stelle der praktischen Solidarität steht immer noch die Unterstützung von Flüchtlingen auf ihrem Weg zu ihren Zielen sowie im Kampf um Bleiberechte, soziale Rechte und gegen Abschiebungen. Darüber hinaus geht es den aktiven Initiativen um internationale Kampagnen gegen beispielsweise die IOM, oder gegen Fluggesellschaften, die am Geschäft mit Abschiebungen teilhaben. Franck Düvell, Antirassismus-Büro BremenLiteratur: Agamben, G. (2001): Mittel ohne Zweck, Freiburg: Diaphanes ![]() |